Wie könnte man die Stuttgarter Reize hervorheben?
Man müsste die Blickrichtungen nach oben und unten betonen, in die Nähe und die Ferne. Leider sind bei Sanierungen der „Stuttgarter Dächer“ Dachgärten verboten. Immerhin scheint die Stadt ihre Stärken langsam zu begreifen, sie richtete Aussichtspunkte wieder her, die Witwenbahn blieb erhalten, und die Zacke lebt. Aber man könnte noch mehr tun, um das Hügelige zu akzentuieren. Zum Beispiel Sessellifte bauen, rauf zum Birkenkopf, mit Zwischenstopp am Westbahnhof. Oder vom Planetarium rauf zur Uhlandshöhe mit ihrem Observatorium.
Wer soll das bezahlen?
Dass sich das nicht sofort rechnet, ist klar. Aber darum geht es nicht. Es geht um neue Verkehrsverbindungen, die für den Fahrgast zunächst praktisch sind und darüber hinaus die vertikale Stadtwahrnehmung ermöglichen. So schrill Sessellifte auch klingen mögen – sie sind nichts anderes als moderne Interpretationen der alten Stuttgarter Stäffele.
Stärkt das Bauwerk Stuttgart 21, von dem Sie offensichtlich nicht viel halten, wenigstens das Image von Stuttgart als Technologiestandort?
Im Gegenteil. Kürzlich bin ich mit dem ICE- Sprinter nach Berlin gefahren. Bei der Ausfahrt aus dem Frankfurter Bahnhof tat es einen Schlag. Als daraufhin einer der Passagiere spontan rief: „Wie? Sind wir in Stuttgart?“, hat das ganze Abteil gelacht, in der Ersten Klasse, wo sich gewiss nicht die üblichen S-21-Gegner versammelt hatten. Ganz Europa feixt über den Pannenflughafen in Berlin und die Elbphilharmonie in Hamburg. Nur: diese beiden Projekte sind in zwei, drei Jahren fertig und die Pannen und Mehrkosten vergessen. S 21 wird noch in 21 Jahren den Ruf des Wirtschafts- und Ingenieursstandorts Stuttgart gefährden. Können wir nicht über Erfreulicheres reden?
Gern. Ich treffe Sie oft in Stuttgarter Theatern. Wie sieht es nach der Sommerpause in der hiesigen Kultur aus?
Oper: weiter so, großartig. Kleines Haus, denn so – Kleines Haus – sollte es wieder heißen: ich bin sehr neugierig auf Armin Petras und freu mich riesig drauf. Ballett: in drei Jahren geht Reid Anderson in den wohlverdienten Ruhestand. Sasha Waltz will weg aus Berlin und ist zu haben, ebenso Daniela Kurz, eine ehemalige Absolventin der John-Cranko-Schule, die zehn Jahre das Nürnberger Ballett hervorragend geleitet hat. Freie Tanzszene: ich freu mich auf das Tanzlokal-Festival vom 6. bis 8. September, das die hiesige Szene mit dem Tanzerbe von Schlemmer, Palucca und Joos zusammenbringt. Filmgalerie 451: eine private, für den Medienstandort systemrelevante Institution schließt wegen ein paar fehlenden Euro im Monat – und gleichzeitig wird ernsthaft über Steuergelder fürs Varieté gesprochen. Damit sind wir beim Theaterhaus: scheint sich programmatisch immer mehr in Richtung Rolf Deyhle zu entwickeln. Musik: in Trossingen soll jetzt, nach drei Jahren Lebenszeit, der Studiengang Musikdesign geschlossen werden, der erste an einer Deutschen Musikhochschule, bei dem man sich ohne Instrumenten- und Notenkenntnisse, nur mit Laptop und DJ-Mischpult bewerben konnte. Eine geniale Idee, fünfzig Jahre nach den nicht notenschreibenden Lennon/McCartney – und völlig grotesk, gerade den zu schließen!