Bei den Problemen der privaten Kassen sei der Gesetzgeber gefordert, sagt der Ökonom Jürgen Wasem. Eine Zwei-Klassen-Medizin gebe es nicht.


Stuttgart – Herr Wasem, manche sehen die PKV am Ende. Liegt sie auf der Intensivstation?
Das würde ich so nicht sagen. Richtig ist aber, dass die Unternehmen Probleme haben, weil die Zinsen so niedrig sind. Das heißt, ihre Rückstellungen bringen zu wenig ein. Noch dazu haben sie auf der Ausgabenseite nicht so viele Steuerungsinstrumente wie die gesetzliche Krankenversicherung. Beides führt dazu, dass die PKV mittelfristig im Blick auf die Kosten große Probleme bekommen kann.

Ist die Zukunft der PKV also bedroht?
Die PKV bemüht sich seit einiger Zeit, vom Gesetzgeber Steuerungsinstrumente in die Hand zu bekommen. Bei den Arzneien ist ihr das schon gelungen. Sie kann dort von den Rabatten profitieren, die die gesetzlichen Kassen aushandeln. Die PKV will auch die Möglichkeit haben, die Arzthonorare auszuhandeln oder an Standards zu binden. Diese Probleme sind Zukunftsfragen für die PKV.

Muss man Junge warnen, sich von niedrigen Einstiegstarifen in die Private locken zu lassen, weil Beitragsexplosionen drohen?
Das wäre zu pauschal. Es gibt bei den Tarifen ja eine große Spannbreite. Mein Eindruck ist, dass das Risiko von Beitragsexplosionen bei den besonders billigen auch besonders groß ist.

Soll der Gesetzgeber den Preisanstieg begrenzen?
Der Gesetzgeber hat schon gehandelt und den Privaten vorgeschrieben, für die Kosten durch den medizinischen Fortschritt zehn Prozent Zuschlag zu berechnen. Jetzt wäre es nötig, den Rechnungszins abzusenken. Die Kalkulation in der PKV beruht darauf, dass man die Beitragsstabilität für die Älteren durch Zinsgewinne sichert. Der einkalkulierte Zins sollte nicht höher als 2 Prozent liegen, dann bleibt genug Luft für Zinsgewinne. Wenn der Gesetzgeber hier einschreitet, bekämen wir eine realistischere Kalkulation und höhere Tarife für die Jungen.

Ist das Nebeneinander von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen überhaupt sinnvoll?
Am grünen Tisch würde sich niemand ein System ausdenken, bei dem eine Teilmenge der Versicherten wählen kann, ob sie in ein System mit einkommensabhängigen Beiträgen und Familienversicherung oder in ein System mit risikoabhängigen Beiträgen und keiner Familienversicherung geht. Die logische Konsequenz ist, dass die Gesunden ohne Kinder mit hohen Einkommen in die PKV gehen und diejenigen mit Vorerkrankungen, Kindern und geringem Einkommen in der GKV bleiben. Dieses Wahlrecht ist ein Wahlrecht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Das System hat sich bei uns aus historischen Gründen seit 120 Jahren entwickelt. Rational begründbar ist es nicht.

Die PKV sagt, sie subventioniere die gesetzlichen Kassen quer. Stimmt das?
Das ist sicherlich richtig. Die PKV zahlt deutlich höhere Preise bei Ärzten und Zahnärzten und geringfügig höhere Preise in Apotheken, bei Masseuren und so weiter. Besonders Ärzte könnten oft Investitionen nicht leisten, wenn sie auch für die Privatversicherten das gesetzliche Honorar bekommen würden. In diesem Fall gingen den Medizinern rund 3,5 Milliarden Euro an Honorar verloren.

Grüne und SPD machen sich für eine einheitliche Bürgerversicherung stark. Gibt es überhaupt einen praktikablen Weg, dies zu erreichen?
Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass alle heutigen Privatversicherten in ein einheitliches System gezwungen werden könnten. Das ist verfassungsrechtlich, aber auch in der Umsetzung schwierig. Eine andere Alternative wäre, der PKV lediglich die Neuaufnahme von Versicherten zu untersagen. Dann würde man quasi über 100 Jahre die Bürgerversicherung aufbauen. Die SPD will die Neuaufnahme verbieten und den Privatversicherten den Wechsel in die GKV ermöglichen. Das ist praktisch zwar nicht einfach, aber technisch wohl lösbar. Es kommt aber auf viele Details an, zum Beispiel: Was passiert mit den Altersrückstellungen der Privaten?

Führt das Nebeneinander von GKV und PKV eigentlich zu einer Zweiklassenmedizin?
Das lässt sich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Einerseits kriegen Privatversicherte tendenziell schneller einen Termin beim Arzt. Sie bekommen häufiger teure Medikamente. Ob sie eine bessere Versorgung erhalten, ist zweifelhaft. Sie werden nämlich schneller operiert und damit möglicherweise zu früh und zu oft. Sie erhalten auch eher innovative Arzneien, mit denen man noch nicht so viel Erfahrungen gesammelt hat. Die Bilanz fällt im Blick auf die Versorgung also zwiespältig aus.