Gibt es nicht auch einen moralischen Imperativ, gewonnene Macht zu nutzen?
Riexinger Würden Sie von uns verlangen, mit Merkel in eine Regierung einzutreten und Hartz IV mitzutragen? Wir sind bereit zu regieren, aber dann müssen wesentliche Inhalte unseres Programms in einem Koalitionsvertrag aufgenommen werden. Das Problem ist doch, dass die SPD lieber die Vizekanzlerschaft übernimmt, als mit uns zu koalieren.
Kipping Wir wollen nicht um jeden Preis an die Macht, nur weil es schick ist, einen Dienstwagen zu haben. SPD und Grüne sind damit zufrieden, bei der Fiskalpaktrunde im Kanzleramt als Schoßhündchen dabeizusitzen. Unsere Bedingungen für Koalitionen im Bund sind klar: keine Kriegseinsätze, kein Sozialabbau, keine Privatisierungen.

Sie werfen der SPD vor, nur wegen Posten und Dienstwagen regieren zu wollen?
Riexinger Nein, aber die SPD fällt beim Fiskalpakt ihren Schwesterparteien in den Rücken. Frankreichs Präsident François Hollande schlägt Euro-Bonds vor, die wir vor drei Jahren gefordert haben. Die SPD verkauft sich beim Fiskalpakt unter Wert.

Sie haben keine einfache Zeit erwischt, um Parteichefs zu werden. Ist die Sachsen-Schwaben-Kombo inzwischen mit sich warm geworden?
Kipping Wir haben schon zusammen gekocht.
Riexinger Es gab Nudeln und Zucchini-Sahnesoße.

Haben Sie Ihr neues Leben schon organisiert?
Riexinger Nein. Für mich ist es ein Einschnitt. Ich hatte noch keine Zeit, mir in Berlin eine Wohnung zu suchen und mit meiner Familie, die in Stuttgart bleibt, einen Plan für unser künftiges Leben zu machen. Ich hoffe da auf die Sommerpause.

Wie viel Platz hat das alte Leben der jungen Mutter Katja Kipping in Ihrem neuen Job?
Kipping Ich bin froh, dass ich für meine Tochter inzwischen eine Kitaplatz habe. Ich behalte mein Zimmer in einer Dresdner Wohngemeinschaft, aber als Parteichefin werde ich dauerhaft in Berlin sein. Jeden Tag wird ein fester Stundenblock für meine Tochter reserviert. Manche Treffen werden abends bei mir zuhause neben dem Babyfon stattfinden.

Behalten Sie Ihren Gewerkschaftsjob?
Riexinger Ich werde beurlaubt. Meine Stelle bei Verdi wird für zwei Jahre kommissarisch besetzt.

Ihr Vorgänger Klaus Ernst achtete darauf, beim Aufstieg zum Parteichef keine Gehaltseinbußen zu erleiden. Wie ist das bei Ihnen?
Riexinger Wir haben eine klare Regel. Die Partei bezahlt mir das 1,25-fache des höchsten Gehaltes hier in der Parteizentrale. Außerdem reden wir über Zweitwohnung und Heimfahrten. Klar ist, dass ich am Ende etwas weniger haben werde als bisher. Sie wissen ja: Schwaben sind sparsam.

Sie wurden gewählt, weil Sie den verschiedenen Flügeln am wenigsten wehtun. Wie gehen Sie damit um?
Kipping Ich halte das für unsere Stärke. Man kann Konflikte weder mit Zement zugießen noch mit Zuckerguss übertünchen. Wir wollen die Widersprüche produktiv machen. Vor allem braucht die Partei eine Führung, die stabilisiert.
Riexinger Intern wollen wir zuhören und integrieren. Nach außen setzen wir Schwerpunkte im Kampf gegen prekäre Beschäftigung und bei der Lösung der Euro-Krise. Nach den Führungsdebatten hat die Partei das Bedürfnis, Politik zu entwickeln.

Setzen Sie allein auf die Durchschlagskraft des Nettseins?
Riexinger Wir sind politische Köpfe. Die dauernde Selbstbeschäftigung war ein Fehler. Wir müssen wieder offensiv spielen.