Die ukrainischen Intellektuellen, die man hier hört, sind in der Regel pro Maidan. Bei den westlichen Intellektuellen ist es gerade umgekehrt: hier überwiegen die sogenannten Russlandversteher.
Die Gäste, die ich eingeladen habe, darunter West- wie Ostukrainer und Russen, äußern sich gegenüber Putin kritisch, das stimmt. Aber Yevgenia Belorusets hat zum Beispiel auch sehr kritisch über den Maidan berichtet. Sie hat eindrücklich beschrieben, wie inhomogen die Gruppen sind, deren Motive nur teilweise dem entsprechen, was der Westen gerne heraushört: den Kampf für Demokratie und gegen Korruption. Sie ist in ihren Interviews auch vielfach auf naive Europa-Bilder gestoßen. Trotzdem ist auch sie davon überzeugt, dass man einen Diskurs über die Alternativen zu dem herrschenden System braucht. Und dass Protestkulturen hier eine wichtige Möglichkeit sind.
Warum hört man nichts von russischen oder ostukrainischen Intellektuellen, die die prorussische Sache vertreten?
Das wird unter anderem Thema des letzten Abends mit Rebecca Harms und Andrej Kurkow sein, der in Kiew lebt und auf Russisch schreibt. Woran liegt es, dass es so schwer ist, aufeinander zuzugehen, wie können wir die Verkrustungen, die Feindbilder, die pauschalisierenden Zuschreibungen überwinden? In der Reihe dabei ist zum Beispiel auch die Regisseurin Svitlana Oleshko, die aus dem Osten der Ukraine, aus Charkiw, stammt. Sie vertritt sicher nicht die Putin’sche Sicht, aber reflektiert ein russisch geprägtes Umfeld mit, in dem sie lebt. Alle, die ich eingeladen habe, bringen eine Bruchstelle mit. Damit machen sie eine andere Diskussion möglich als Hardliner aus der einen oder anderen Richtung.
Ist es nicht eine Gefahr, dass der Westen regimekritische Stimmen für seine eigenen Interessen instrumentalisiert?
Die Ukraine ist nicht entweder West oder Ost. Sie ist durch ihre Geschichte hindurch ein palimpsestartiges, multiethnisches Gefüge – bis heute. Unser Blick sucht Vereindeutigung. Stattdessen sollten wir über neue Wege des Zusammenleben in der Ukraine wie im gesamten Europa nachdenken, die es erlauben, verschiedene Konzepte zu leben, verschiedene Sprachen zu sprechen, ohne in Repressionssystemen hängen zu bleiben. Die Ängste, die von beiden Seiten geschürt werden, die vor den sogenannten westlichen Faschisten oder die vor Putins Allmacht, im Gespräch aufzubrechen, ist der Antrieb für die Veranstaltung.

Reihe
An drei Abenden diskutieren im Literaturhaus Gäste aus der Ukraine über Kunst und Literatur im Spannungsfeld der aktuellen Umbrüche. Die eingeladenen Autoren stehen für die Verwerfungen jenseits der groben Bruchlinien. Unter anderem kommt der Lyriker Serhij Zhadan aus der Ostukraine zur Wort, der Ukrainisch schreibt. Sein Kollege Andrej Kurkow lebt in Kiew, schreibt aber auf Russisch, Michail Schischkin wiederum ist Russe, sympathisiert aber mit der Protestbewegung des Maidan.

 

Termin
Unter dem Titel „Kunst in Aufruhr“ machen Yevgenia Belorusets und Serhij Zhadan am 23. April um 20 Uhr den Auftakt.