Probleme wohin das Auge reicht – gut, wenn man da mit Optimismus gesegnet ist: Der geschäftsführende Intendant Marc-Oliver Hendriks ist optimistisch, alle Bauprobleme der Staatstheater in Stuttgart in den Griff zu bekommen.

Stuttgart – Die Sanierung des Schauspielhauses findet kein Ende, die Sanierung des Opernhauses wird noch viel komplizierter, und beim Neubau der John-Cranko-Ballettschule steigen die Kosten enorm. Marc-Oliver Hendriks, der Geschäftsführende Intendant der Stuttgarter Staatstheater, hat in diesen Tagen vor allem mit Bauproblemen zu tun – und mit den Verhandlungen mit Stadt und Land.
Herr Hendriks, Sie haben 2009 von München nach Stuttgart gewechselt. Die Bayerische Staatsregierung ist für ihre zupackende, keinen Glanz scheuende Art auch bei Kulturgroßprojekten bekannt. Dagegen sticht das Schwäbische schon arg ab, oder?
Meinen Wechsel nach Stuttgart habe ich noch nie bereut; es ist eine der spannendsten Aufgaben der Theaterlandschaft überhaupt. Natürlich, die Bayerischen Staatstheater in München sind lupenreine Staatstheater und werden zu fast hundert Prozent allein vom Freistaat finanziert. Insofern hat man immer nur einen Ansprechpartner – was aber auch manch unliebsame Abhängigkeit mit sich bringen kann. Unser hiesiger Staatstheatervertrag, der auch in allen Baufragen die Landeshauptstadt mit in die Verantwortung einbindet, erscheint mir aber ebenso schlüssig. Hier am Ort stehen ja nun mal unsere Häuser und leisten ihren kulturellen Auftrag für das ganze Land, aber besonders für die Region und die Stadt Stuttgart.

. . . und daran scheitern dann manchmal auch Bauprojekte, wie es jetzt beim Neubau der John-Cranko-Ballettschule oder bei der jahrelang verzögerten Opernhaussanierung geschehen könnte?
Von einem Scheitern kann keine Rede sein. Es gibt Verzögerungen aufgrund neuer Erkenntnisse.

Der imposante Neubau der Landesministerien an der Willy-Brandt-Straße hat 65 Millionen Euro gekostet. Warum muss eine weitaus kleinere Ballettschule laut neuesten Gutachten womöglich 50 Millionen Euro kosten?
Ein Ministerium ist sicher ein komplizierter Bau, aber eine Ballettschule ist es nicht minder, dazu an einem städtebaulich exponiertem Ort, einem Hanggrundstück an der Werastraße. In der Crankoschule, die ja ein Internat für junge Menschen aus aller Welt ist, wird gewohnt, geschlafen, gegessen, gelernt, trainiert, getanzt und noch vieles mehr. Das alles muss durch Architektur und Gebäudetechnik stimmig und zweckmäßig gelöst werden; und ein bisschen schön aussehen darf das Gebäude an so prominenter Stelle sicher auch. Eine Ballettschule ist einfach mehr als eine Jugendherberge mit angeschlossener Turnhalle.

Was sind für Sie die Lehren aus den aktuellen Bauquerelen im Schauspiel, in der Oper und im Ballett?
Zwei Lehren: die erste, wirklich klar und analytisch an Baufragen heranzugehen. Wir müssen erst sorgfältig prüfen, was zu tun ist, und dürfen den Blick nicht von vornherein aus Angst vor irgendeiner großen Zahl einengen. So wollen wir es jetzt bei der Sanierung im Opernhaus halten, die ja durch ein Tiefengutachten sorgfältig vorbereitet wird. Und zum anderen sollten wir nicht voreilig Zahlen in die Debatte tragen, die noch nicht wirklich belastbar sind. Das ist aktuell unser Problem bei der Crankoschule. Hier haben sich Land und Stadt auf Schätzungen der Staatlichen Bauverwaltung verlassen, die noch vor Abschluss einer wirklich sorgfältigen Planung in den Raum geworfen wurden. Es stellt sich jetzt als klug und weitsichtig heraus, dass die Stadt Stuttgart auf eine frühzeitige Einbindung externen Sachverstandes bestanden hat.

Aber es trägt nicht zum Ansehen solcher Bauprojekte bei, wenn sie innerhalb weniger Jahre von einst 25 Millionen Euro auf das Doppelte ansteigen!
Das betrifft nicht die Kultur allein, es ist ein allgemeines Phänomen. Die politische Diskussion über dieses oder jenes Projekt wird leider allzu oft auf der Grundlage zu niedrig angesetzter Kostenschätzungen geführt; und irgendwann fährt die Wahrheit in die Zahlen und wird zur Belastung. Die Sympathie für die Crankoschule ist sowohl im Landtag als auch im Gemeinderat fraktionsübergreifend groß. Nun müssen wir, das heißt das Theater und die Kulturpolitiker, Überzeugungsarbeit leisten, warum die zweifellos deutlich höhere Bausumme auf Grundlage einer erstmals realistischen Einschätzung auch sachlich notwendig und angemessen ist.

Bei der Crankoschule bleiben Sie Optimist. Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Renovierungsarbeiten im Schauspielhaus nun endlich zum Abschluss kommen?
Das Krisenmanagement der vergangenen eineinhalb Jahre war einfach unangemessen. Ich stelle aber im verantwortlichen Finanzministerium ein neues Denken fest. Ingo Rust, der Staatssekretär, hat die Baustelle besucht und die Dimensionen des Problems sofort erkannt. Geeignete Maßnahmen wurden umgehend eingeleitet. Ich gehe davon aus, dass wir nach den Sommerferien das Schauspielhaus beziehen können. Wir sind zu erschöpft und mit unserem Schauspiel schon viel zu sehr durch die Stadt gezogen, um noch irgendwo eine dritte Ersatzspielstätte zu beziehen.

Es gibt also keinen Plan B in Ihrem Haus, falls der neue Intendant Armin Petras das Schauspielhaus im September nicht beziehen kann?
Nein. Aus künstlerischen wie aus betrieblichen Gründen halte ich eine weitere Interimsspielstätte im Herbst für die unwahrscheinlichste aller Lösungen.

Das heißt, wenn das Schauspielhaus im September nicht fertig ist, muss Armin Petras notfalls drei, vier oder fünf Monate später starten?
Unser Ziel ist es, dass Armin Petras Ende Oktober mit seinen ersten Premieren das Schauspielhaus eröffnen kann. Darauf konzentrieren wir uns.

Jedenfalls werden aus den Fehlern bei der Sanierung des Schauspielhauses Lehren für die ja noch ungleich kompliziertere Sanierung im Opernhaus gezogen?
Was die Fehler bei der Bauplanung und Baudurchführung im Schauspielhaus angeht, hat der Landesrechnungshof ja bereits im vergangenen Herbst umfassend geprüft, und ich gehe davon aus, dass im Finanzministerium die gebotenen Schlüsse gezogen werden. Was das politische Interesse am Erfolg unserer Bauvorhaben angeht, so sehe ich dies gerade erfreulich wachsen. Und was die Bauaufgabe Opernhaus betrifft: Wir haben jetzt das Mandat des Verwaltungsrates, ein umfassendes Gutachten einzuholen, damit alles Notwendige auf der Problem- und Aufgabenliste steht und dann die tatsächlichen Kosten seriös ermittelt werden.

Was eigentlich ist im Opernhaus so schlimm und marode? Das Publikum klagt doch nicht.
Das Gebäude ist über hundert Jahre alt, manche der Bau- und Ausstattungsmängel fallen dem Publikum zwar nicht unmittelbar auf, aber dass es im Winter kalt ist, weil unsere Heizsysteme inzwischen überfordert sind, merken die Zuschauer sehr wohl. Und wenn in einer Verdi-Aufführung plötzlich die Bühnentechnik ausfällt und wir die Vorstellung unterbrechen müssen, dann hört der Spaß endgültig auf.

Wer garantiert Ihnen, dass sich angesichts des großen Spardrucks in der Politik nicht jene Kräfte durchsetzen, die ohnehin kein Interesse an Kulturprojekten haben?
Es stimmt, kulturelle Bauprojekte müssen sich in der Öffentlichkeit immer stärker legitimieren als Projekte der Wissenschaft, der Wirtschaft oder der Verwaltung. Bei letzteren wird immer davon ausgegangen, das wirft irgendwann eine Rendite ab. Aber auch die Kultur bringt eine „Rendite“, für unser geistiges und gesellschaftliches Klima. Das ist zwar nicht in Euro zu quantifizieren, aber es ist vielleicht noch wichtiger.

Können Sie eigentlich irgendeine Premiere besuchen, ohne gleich immer daran zu denken, ob wohl auch genügend Karten hinterher dafür verkauft werden?
Man muss schon aufpassen, dass man sich da nicht zu sehr deformiert und immer rechtzeitig abschaltet. Aber die Erlebnisse in Konzert und Theater sind ja gerade die Belohnung, die man braucht, um die Klippen im Tagesgeschäft zu meistern.

Sie haben Jura studiert und gestalten nun als Geschäftsführender Intendant maßgeblich Theater mit. Aber was gespielt wird und wer singt, das überlassen Sie anderen. Kann es irgendwann passieren, dass Sie doch noch mal die Seite wechseln und ein Opern- oder Schauspielchef werden?
Sollte es je so weit kommen, dann werde ich lieber Kritiker.