Sie scheiterte an Hitlers Rassenwahn: Am Samstag feiert die frühere Hochspringerin Margaret Lambert ihren 100. Geburtstag. Als Gretel Bergmann hat die Jubilarin Sportgeschichte geschrieben – eine sehr traurige.

Stuttgart - Es ist 12 Uhr, als das Telefon in Queens im Osten von New York klingelt. An den Apparat geht eine Frau, die Sportgeschichte geschrieben hat, eine Frau aus dem schwäbischen Laupheim: Margaret Lambert, die einmal Gretel Bergmann hieß. Unter diesem Namen war sie die jüdische Hoffnung bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, die bei Adolf Hitler eine panische Angst auslöste. So wurde sie ein Opfer der Nazi-Rassenideologie. Gretel Bergmann wurde nur in den deutschen Olympiakader berufen, weil die Amerikaner mit einem Boykott der Spiele gedroht hatten. Als das US-Team New York mit dem Schiff verlassen hatte, wurde Gretel Bergmann sofort aus dem Team ausgeschlossen. Die Siegeshöhe von 1,60 Meter in Berlin 1936 war sie wenige Wochen zuvor in Stuttgart gesprungen. Am 12. April wird Margret Lambert 100 Jahre alt.

 

Sie meldet sich am Telefon mit fester Stimme. Ihre Gedanken sind präzise, die Erinnerungen noch frisch. Ein spätes, englisch geführtes Interview mit einer ehemaligen Hochspringerin, die, eine olympische Goldmedaille vor Augen, an Hitlers Rassenwahn scheiterte, und für die die Freiheitsstatue in New York ihre wahre Bedeutung verkörperte: die Freiheit zu leben.

Margaret Lambert, im November des vergangenen Jahres ist ihr Mann Bruno Lambert verstorben. Es ist für Sie vermutlich gerade eine schwierige Zeit?
Bruno hat mit 103 ein stolzes Alter erreicht. Er war zuletzt krank und lag im Bett. Wir haben nichts gemacht, er ist einfach eingeschlafen. Nein, das war schon eine gute Sache am Ende.
Interessieren Sie sich heute noch für Sport?
Und wie. Ich schaue mir fast alles an. Baseball, Basketball, Leichtathletik, Eiskunstlauf und so weiter. Aber nicht Football.
Sie waren „die große jüdische Hoffnung für die Olympischen Spiele in Berlin 1936“, wie Sie auch Ihre Autobiografie genannt haben. Durch die Rassenideologie der Nazis ist alles ganz anders gekommen. Fühlen Sie sich heute mehr als die verhinderte Olympiasiegerin oder als Opfer der Nazis?
Ich sehe mich vor allem als Opfer der Nazis. Ich hatte immer Angst, was sie mit mir machen würden. Ich wusste nie, ob sie mich umbringen würden. Das war schrecklich, es war einfach eine furchtbare Zeit.
Sie waren eine vielseitig talentierte Sportlerin. Was zeichnete Sie denn als Hochspringerin aus?
Mit meinen langen Beinen und meinen großen Füßen war ich für den Hochsprung geradezu prädestiniert.
Was bedeutete Ihre Emigration in die Vereinigten Staaten 1937?
Das war die ganz große Befreiung. Ich war total glücklich, in die Staaten zu kommen und nicht in Deutschland bleiben zu müssen. Ich wäre hier ermordet worden.
Sie lebten in den Jahren 1933 und 1934 in England und wurden dort britische Meisterin. Wäre es nicht besser gewesen, dort zu bleiben und eventuell für England in Berlin zu starten?
Mein Vater kam damals nach England und sagte mir, ich müsste nach Deutschland zurückkommen. Ich wusste nicht warum, habe dann aber erfahren, dass ich für die Deutschen bei den Olympischen Spielen in Berlin starten soll. Dies hat sich später ja als ganz großes Täuschungsmanöver der Nazis herausgestellt.
Der Sport war einst Ihr Leben. Sie sind in Stuttgart deutschen Rekord gesprungen, sind als weltbeste Hochspringerin dennoch aus der Olympia-Mannschaft geflogen. Wann und warum haben Sie aufgehört?
Ich bin den Vereinigten Staaten noch amerikanische Meisterin im Hochsprung und im Kugelstoßen geworden. Am Morgen des 3. September 1939, dem Tag der US -Leichtathletik-Meisterschaften, habe ich dann erfahren, dass England Deutschland den Krieg erklärt hat. Von da an hatte ich keinen Sinn mehr darin gesehen, Hochsprung zu betreiben. Das war schließlich das Ende meiner Karriere.
Wie denken Sie heute über die Deutschen?
Die Nazis haben sechs Millionen Menschen ermordet. Ich habe die Nazis gehasst, ich habe alle Deutschen gehasst. Nach meinem Besuch in Deutschland 1999 merkte ich, dieses Denken ist dämlich. Ich habe meine Einstellung geändert. Ich kann den jungen Deutschen von heute nichts mehr vorwerfen. Ich habe Freunde in Deutschland. Ich habe meinen inneren Frieden gesucht und gefunden.
Gibt es ein Geheimnis, wie man 100 Jahre alt wird?
Ich habe Glück gehabt. Gut, ich habe nie geraucht, nie getrunken. Dennoch: ich hatte einfach nur Glück.
Möchten Sie den Deutschen noch etwas zurufen?
Ich bin stolz und danke allen von Herzen, die sich so für mich interessieren. Vor allem auch meinen Freunden in Laupheim.
Vielen Dank für das Gespräch.
Gleichfalls. Sie können jederzeit wieder anrufen.