Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)
Eine andere Strukturschwäche Frankreichs sind die hohen Staatsausgaben – 55 Prozent des Bruttoinlandprodukts!
Sie haben recht. Aus diesem Grund nehmen wir überall Einsparungen vor. So haben wir die Zahl der Verwaltungsregionen um die Hälfte gesenkt; die Organisation der nächsten Regionalwahlen Ende 2015 wird bedeutend günstiger ausfallen. Auch verringern wir die Gesundheitsausgaben. Und die Ausgaben für unsere Familienpolitik haben auch positive Folgen für die Staatsfinanzen: Die Franzosen sind in Europa diejenigen, die am meisten Kinder machen, was die Wirtschaft antreibt.
Im Tauziehen zwischen Brüssel und Athen wollte Frankreich ein „Bindeglied“ bilden. Ist Ihnen das gelungen?
Eine erste Etappe ist geschafft: Griechenland hat Reformvorschläge gemacht, die Institution haben sich dazu geäußert, und die Eurogruppe hat zugestimmt. Das war natürlich nicht Frankreichs alleiniges Werk.
Wie steht Frankreich zu Griechenland?
Wir können nicht so tun, als hätte sich in Griechenland durch die letzten Wahlen nichts verändert. Aber zugleich gibt es in der Eurozone Regeln, die alle einhalten müssen. Ich denke, dass die in den letzten Tagen durch die Eurogruppe getroffenen Entscheidungen die richtigen sind. Sie sollten es Griechenland ermöglichen, zu nachhaltigem Wachstum und Arbeit zu finden.
In der Schuldenfrage tritt Paris gegenüber Athen eher hart auf. Gleichzeitig verurteilen Sie aber auch die europäische „Austeritätspolitik“, ähnlich wie es Syriza tut.
Die Griechen wissen, was Austerität ist: Ihre Löhne, ihre Renten, ihre Sozialzuschüsse sind gesunken. Wenn mir in Frankreich jemand sagt, hier herrsche Austerität, antworte ich stets: Geht nach Athen, dort seht ihr, was dieses Wort bedeutet! In Frankreich streben wir nicht einen Austeritätskurs an, sondern ein seriöses Budget. Das gilt für die gesamte Eurozone: Wenn wir genügend Wachstum sowie eine Inflation gemäß der Definition der EZB wollen, müssen wir eine weniger restriktive Wirtschaftspolitik verfolgen. Wir wollen die Defizite abbauen, aber in einem Rhythmus, der dem Wachstumsziel angepasst ist.
Deutschland und Frankreich geraten weniger heftig aneinander als in früheren Zeiten – eine Folge der großen Koalition in Berlin?
Es gibt keine Zukunft für Europa, wenn sich Deutschland und Frankreich streiten. Das sind zwei sehr unterschiedliche Länder, aber wenn sie am gleichen Strick ziehen, können sie helfen, die ganze EU mitzuziehen. Die große Koalition in Deutschland hat sich in Sachen Lohn und Mindestlohn Frankreich angenähert und damit eine Konvergenz nach oben ermöglicht. Umgekehrt versuchen wir in Frankreich eine budgetmäßige und finanzielle Annäherung an das deutsche Niveau.
Sind Sie in Sachen EU wieder etwas optimistischer?
Die EU hat seit 2008 zwei schwere Banken- und Eurokrisen hinter sich gebracht. Europa darf aber nicht nur gemeinsam Krisen meistern, sondern muss seine Wirtschaft und sein Potenzial entwickeln. Sonst wird Europa einen Niedergang gegenüber anderen Kontinenten erleben.