Allen Meinungsverschiedenheiten zum Trotz sieht der französische Finanzminister Michel Sapin in der Wirtschaftspolitik eine Annäherung zwischen Paris und Berlin. Als Beispiel nennt er im Interview den von der großen Koalition eingeführten Mindestlohn.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)
Paris – - Allen Meinungsverschiedenheiten zum Trotz sieht der französische Finanzminister in der Wirtschaftspolitik eine Annäherung zwischen Paris und Berlin. Als Beispiel nennt er den von der großen Koalition eingeführten Mindestlohn.
Monsieur Sapin, Brüssel gibt Frankreich zwei Jahre mehr, um sein Budgetdefizit auf drei Prozent zu senken. Das muss Sie freuen.
Die Kommission hat anerkannt, dass Frankreich trotz schwachem Wachstum und niedriger Inflation Budgetanstrengungen unternommen hat. Die Rückkehr zu einem dreiprozentigen Defizit bis 2017 entspricht dem Ziel, das sich meine Regierung in ihren eigenen Haushaltentwürfen gesetzt hatte. Der Dialog zwischen Brüssel und Paris war in dieser Frage optimal.
Frankreich gehört aber zu den ganz wenigen EU-Ländern, in denen das Defizit 2014 erneut gestiegen ist. Eine vierzigjährige Tradition in Paris.
Frankreich hat seinen Haushalt seit 2012 massiv konsolidiert, wurde doch das Defizit zwischen 2011 und 2014 halbiert. Auch ohne dass sich das veranschlagte Wachstum einstellte, sank unser Defizit seit 2010 um die Hälfte. Dahinter steckt ein enormer Aufwand, und 2015 und 2016 geht der Abbau weiter. Wir wollen die französische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig machen, aber gleichzeitig das Budgetdefizit abbauen.
Das geht nur, wenn genug Wachstum da ist.
Richtig, sonst lösen wir die Probleme weder konjunkturell noch budgetmäßig noch sozial. Das absolute Übel für die Eurozone wäre ein zu schwaches Wachstum bei einer zu niedrigen Inflation.
Das ist heute ziemlich genau der Fall.
Deshalb hat die Europäische Zentralbank jüngst die richtigen Entscheidungen gefällt. Wachstum bei angemessener Inflation muss derzeit oberste Priorität haben. Zugleich müssen und wollen wir in Frankreich das Budgetdefizit abbauen. Es geht nicht mehr darum, die Nachfrage künstlich zu stimulieren, wie das 2008 oder 2009 der Fall war. Wir müssen in der EU die Investitionen ankurbeln. In Frankreich sind die privaten Investitionen seit 2008 um 15 Prozent gesunken. Daher ist der Plan Juncker (mit einem Investitionspotenzial von rund 300 Milliarden Euro – d. Red.) angebracht. Frankreich hätte sich sogar gewünscht, dass er weiter geht. Auf jeden Fall muss er so schnell wie möglich umgesetzt werden.
Sollte Frankreich seine eigenen Strukturreformen nicht ebenso entschlossen anpacken?
Das eine schließt das andere nicht aus. Wir haben in Frankreich bereits eine weit gehende Reform der Jobsicherung durchgezogen. Seither gibt es keine riesigen Sozialpläne mit Massenentlassungen mehr. Dazu kommt nun das nach dem Wirtschaftsminister benannte Macron-Gesetz. Es reformiert wichtige Sektoren der französischen Wirtschaft, von den geschützten Berufen bis zur Sonntagsarbeit.
Das Macron-Gesetz blieb aber auf halbem Weg stecken, da es von rechts bis zum linken Flügel Ihrer Partei massive Widerstände dagegen gab.
Echte Reformen provozieren eben echte Widerstände. Die Regierung will sie durchführen, weil sie für unsere Wirtschaft unerlässlich sind.
Auch die zentrale Arbeitsmarktreform?
Die Sozialpartner haben über die flexiblere Gestaltung ihrer Beziehungen verhandelt, aber keine Einigung erzielt. Deshalb nimmt nun die Regierung die Dinge an die Hand. Der Premierminister hat den Sozialpartnern diese Woche erklärt, dass nun das Gesetz schaffen müsse, was die Verhandlungen nicht ermöglicht haben.
Der „Pakt der Verantwortlichkeit“, laut der Regierung ebenso zentral, wird aber auch nur sehr mühsam in die Tat umgesetzt.
Das stimmt, aber das Wichtige ist vollbracht: Die Unternehmen wurden 2014 um zehn Milliarden Euro an Steuern und Abgaben entlastet und werden 2015 eine weitere Entlastung von zwölf Milliarden erfahren. Nun müssen sich die Sozialpartner noch auf die Verwendung dieser Mittel einigen – für neue Jobs, für die Ausbildung oder Investitionen? Eine solche Einigung ist in Frankreich immer sehr schwierig, sicher schwieriger als in Deutschland.
Schwingt da Neid mit?
Als Sozialdemokrat befürworte ich natürlich ein gutes Verhältnis der Sozialpartner, das heißt eine Kultur des Dialogs und des Kompromisses. Aber in Frankreich machen wir beständige Fortschritte in diese Richtung.