Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Die SPD will mit dem Thema soziale Gerechtigkeit in den Wahlkampf ziehen. Haben Sie auch dafür einen Masterplan?
Der Historiker Hans-Ulrich Wehler hat dieser Tage Auskunft gegeben über die Drift in der Einkommens- und Vermögensverteilung. Frank Schirrmachers bemerkenswertes Buch wirft die Frage auf, inwieweit Eigennutz in unserer Gesellschaft zur treibenden Ideologie geworden ist. Das Meinungsforschungsinstitut Allensbach kommt in einer Studie zum Ergebnis, dass eine Mehrheit findet, es gehe ungerecht zu in Deutschland. Das bestätigt meine These der derzeitigen Grundstimmung: Wir stehen vielleicht gut da im internationalen Vergleich, aber für viele ist etwas aus dem Lot geraten. Zum Beispiel die Spaltung des Arbeitsmarktes oder das Fehlen fairer Bildungschancen für Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern oder die Unterfinanzierung der Kommunen oder der Mangel an beruflicher Gleichstellung der Frauen. Die Bindekräfte der Gesellschaft nehmen ab. Das ist das zentrale Thema für die SPD.

Was heißt das konkret?
Das fängt an mit einem gesetzlichen Mindestlohn, der gleichen Bezahlung für Frauen und Männer, geht weiter mit der größeren Durchlässigkeit im Bildungssystem, besseren Voraussetzungen für die Erwerbstätigkeit von Frauen und mehr Aufstiegsmöglichkeiten für sie in der Wirtschaft, sprich Frauenquote, und setzt sich fort bei der Überwindung der Zweiklassenmedizin. All das sind Ansätze für mehr Gerechtigkeit.

Viele soziale Verbesserungen kosten auch viel Geld. Wer soll es bezahlen?
Das ist doch das alte Lied gegen Sozialdemokraten, wonach wir nicht mit Geld umgehen könnten. Dabei werden im anderen Lager trotz guter Lage 100 Milliarden Euro Neuverschuldung gemacht und die Füllhörner für irrwitzige Projekte ausgeschüttet. Der CSU-Generalsekretär Dobrindt wollte gerade die teure Eigenheimzulage wieder einführen. Wir wollen die Schuldenbremse einhalten. Wir werden auf haushaltspolitische Solidität achten, weshalb wir einige Steuern für einige erhöhen wollen. Wir werden umschichten müssen und zusätzlicher Einnahmen bedürfen. Das sagen wir vorher ehrlich, weil sich das auch gut begründen lässt.

Aber Streichen ist nicht sehr populär?
Wir haben es mit einer Reihe von Steuerprivilegien zu tun, die man abschaffen kann – etwa die Privilegierung der Hotels, die Schwarz-Gelb eingeführt hat, oder eine Reihe ökologisch unsinniger Steuerregelungen, die Fehlanreize schaffen.

Aber beim Mindestlohn grenzen Sie sich eher von der FDP als von der CDU ab.
Nein, denn was die CDU plant ist ein Etikettenschwindel, wie so vieles in dieser schwarz-gelben Koalition, etwa die sogenannte Lebensleistungsrente von Frau von der Leyen – ein Zynismus. Da kommen gerade mal zehn bis 15 Euro oberhalb der Grundsicherung raus. Bei der Solidarrente der SPD reden wir von 850 Euro.