Roland Emmerich spricht im StZ-Interview über seinen neuen Film „Anonymus“, das Shakespeare-Rätsel und Vanessa Redgrave in Unterwäsche.

Stuttgart - Der mit Katastrophenfilmen berühmt gewordene Regisseur Roland Emmerich spricht über sein Drama „Anonymus“, in dem er Shakespeare als Autor absetzt. Der wahre Schreiber von Stücken wie „Hamlet“ oder „Macbeth“, so Emmerich, sei der Adlige Edward de Vere gewesen.

 

Herr Emmerich, wann hat Shakespeare bei Ihnen zum ersten Mal so richtig gezündet? Und geschah das durch Worte oder durch Filmbilder?

Als ich jung war, hatte ich mit Shakespeare nicht viel am Hut. Ich habe mich zwar für Literatur interessiert, aber damals waren das Thomas Mann oder amerikanische Autoren. Irgendwann habe ich dann Shakespeare-Verfilmungen gesehen, von Kenneth Branagh oder Franco Zeffirelli, und die waren sehr gut. Vor zehn Jahren habe ich dann das Drehbuch von John Orloff gelesen, und das hat mich nicht losgelassen. Ich konnte zwei, drei Tage nicht schlafen, das ist bei mir immer ein Zeichen dafür, dass ich mich in etwas vernarre, dass ich etwas unbedingt machen muss. Da habe ich dann alle Shakespeare-Filme angeschaut – und es gibt ja viele.

Gibt es einen Lieblingsfilm?

Am besten gefällt mir Buz Luhrmans „Romeo und Julia“. Und die erwähnten Kenneth-Branagh-Filme, die richtig schmissig, nicht so verstaubt, so „dusty old“, sind.

„Sein oder Nichtsein“ oder „To be or not be“: denken Sie an Shakespeare in deutscher oder in englischer Sprache?

Jetzt ist es mehr Englisch, früher mehr Deutsch. Ganz am Anfang habe ich die Stücke natürlich auf Deutsch gelesen. Die sind im Original ja in mittelalterlichem Englisch geschrieben und unglaublich schwierig zu verstehen.

Die von Ihnen übernommene Oxford-Theorie, derzufolge Edward de Vere der Autor dieser Werke war, könnte man als eine Art Klassenkampf interpretieren: Der Adel will sich endlich Shakespeare einverleiben, ein Mann aus dem Volk darf einfach nicht der Autor sein.

Ja, das ist eines der Hauptargumente gegen diese Theorie, dass es sich um „snobbery“, also um Snobismus handelt. Für mich ist das Unsinn. Erstens deshalb, weil das heute keine Rolle mehr spielt. Zweitens stammt die Idee, dass der Mann aus Stratford diese Werke nicht geschrieben haben kann, ja nicht von Snobs, sondern von Schriftstellern wie Mark Twain, Walt Whitman, Henry James oder Charles Dickens. Die konnten sich einfach nicht vorstellen, dass jemand aus der Unterschicht kommt, sich aber obsessiv mit der Oberschicht beschäftigt. Ich glaube, das größte Argument gegen Shakespeare ist, dass der Autor dieser Werke selber ein Snob war und in seinen Stücken eine total aristokratische Haltung hatte.

Elizabeth I. ist alles andere als jungfräulich

Sie wagen sich nicht nur an das Denkmal Shakespeare heran, Sie spitzen noch weiter zu: Die „Virgin Queen‘“Elizabeth I. ist bei Ihnen alles andere als jungfräulich. Sie haben ja auch eine Wohnung in London, fürchten Sie da keine Reaktionen?

Doch, ich fürchte Proteste (lacht). Aber es heißt ja: „Art has to provoke“ – Kunst muss irgendwie aufrütteln. Ich habe viele Bücher gelesen über diese ganze Elizabeth-Geschichte, auch viele Historiker befragt, es gibt da keine einheitliche Meinung. Ich tendiere aber mehr zu jenen, die sagen: diese Königin war nicht jungfräulich. Sie wird von der britischen Schauspiellegende Vanessa Redgrave gespielt.

Hatten Sie da besonderen Respekt?

Ja, ich hatte vor Vanessa viel Respekt, ich war supernervös, auch weil sie ja dafür bekannt ist, nur zu spielen, woran sie wirklich glaubt. Sie wollte übrigens immer schon Elizabeth I. spielen, und was mich dann überrascht hat: auch sie ist total davon überzeugt, dass diese Königin keine Jungfrau war. Vanessa mochte auch den Blick hinter die Kulissen, dass man Elizabeth I. in der Unterwäsche sieht und ohne Perücke. Wir hatten befürchtet, dass sie als ältere Schauspielerin dafür vielleicht zu eitel ist. Aber sie war so uneitel! Wir sind mit offenem Mund dagestanden!

Sie haben für „Anonymus“ einige der Hauptwerke von Shakespeare – oder Edward de Vere – zumindest aninszeniert. Wenn Sie ein Stück für eine Komplettinszenierung wählen dürften, welches wäre das?

So eine Inszenierung würde ich mir gar nicht zutrauen. Ich habe diese Theaterinszenierungen im Film auch nicht selber gemacht, sondern mir dafür die junge und sehr gute Theaterregisseurin Tamara Harvey geholt, die schon am Londoner Globe Theatre inszeniert hat. Ich habe dann alles in Filmbilder umgesetzt, das hat super funktioniert.

Wenn man Ihre Filmografie anschaut, passt „Anonymus“ nicht recht hinein. Ist dieser Film für Sie ein Wendepunkt?

Kein Wendepunkt, eher eine Öffnung. Es kann jetzt immer mal wieder andere Filme geben. „Anonymus“ war für mich ein Befreiungsschlag. Auch wenn in Hollywood natürlich keiner will, dass ich so etwas mache, das ist ja kein so großes Geschäft wie meine Filme vorher.

Sie haben zu einer Zeit an der Münchner Filmhochschule studiert, als dort noch das Autorenkino regierte. Mit Ihrem Faible für das Populärkino waren Sie ein Außenseiter. Ist das jetzt alles ausgestanden?

Puhhh! Eine schwierige Frage. Ich habe ja sowieso eine seltsame Beziehung zur Kritik und zu Filmhochschulen. Für mich war das damals keine glückliche Zeit, ich habe mich tatsächlich als Außenseiter gefühlt, nur weil ich Unterhaltungsfilme machen wollte. Früher galt das als Affront, heute ist es akzeptiert.

Ist es nicht eine Ironie, dass Wim Wenders und Werner Herzog, zwei Hauptvertreter des damaligen Autorenkinos, sich jetzt dem Trend zum 3-D-Film angeschlossen haben und ihre Filme „Pina“ beziehungsweise „Höhle der vergessenen Träume“ mit dieser Technik gedreht haben, und ausgerechnet Sie, als ein Hauptvertreter des Unterhaltungsfilms, auf 3-D verzichten?

Ja, ich wundere mich auch darüber (lacht)! Ich drehe übrigens auch meine nächsten Filme nicht in 3-D. Für mich funktioniert das einfach nicht. Der Trend zu 3-D ist auch wieder am Abklingen, in Amerika sagen die Leute schon: „Forget it!“ Bei „Avatar“ hat das nur geklappt, weil der Regisseur James Cameron ein Taucher ist und die Welt, die er in seinem Film präsentiert, wie eine Unterwasserwelt aussieht. Und da ist es ganz natürlich, dass man eine Brille aufha

Zur Person Roland Emmerich

Biografie Der 1955 in Stuttgart geborene und in Sindelfingen aufgewachsene Roland Emmerich hat an der Münchner Filmhochschule studiert und konnte schon 1984 mit seiner Abschlussarbeit, dem Science-Fiction-Film „Das Arche Noah Prinzip“, einen Publikumserfolg landen. Anfang der neunziger Jahre ging er nach Hollywood und wurde dort mit Werken wie „Independence Day“ (1996), „The Day after Tomorrow“ (2004) oder „2012“ (2009) zum König des Katastrophenfilms.

Zusammenleben Im Jahr 2006 spendete Emmerich insgesamt 150 000 Dollar für ein Projekt zur Bewahrung und Restaurierung lesbischer und schwuler Filme. Deren Bilder, sagt der Filmemacher, hätten „zahllose Leben gerettet“ und dabei geholfen, die homosexuellen „communities“ von heute zu bilden. Roland Emmerich lebt heute mit seinem Freund zusammen und sagt: „Früher hat keiner gewusst, dass ich schwul bin, heute ist mir das wurscht. Ich finde es wichtig, dass man zu politischen Themen wie der Homosexuellenehe Stellung bezieht.“