Der neue Verbandspräsident Roman Glaser wirbt im StZ-Interview dafür, dass sich auch Schulen und Pflegedienste in dieser Rechtsform organisieren.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)
Stuttgart – Seit Jahresbeginn ist Roman Glaser Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes. Der 51-jährige Banker hat sich viel vorgenommen. Er will die Zahl der Genossenschaftsmitglieder im Land auf vier Millionen Menschen steigern, das wäre mehr als jeder dritte Einwohner im Südwesten. Zulauf könnte der Sektor durch Neugründungen etwa in der Energiewirtschaft bekommen, aber auch die bestehenden Genossenschaften gewinnen nach Meinung des ehemaligen Chefs der Volksbank Baden-Baden/Rastatt weiter an Attraktivität.
Herr Glaser, Sie wollen die Marke von vier Millionen Genossenschaftsmitgliedern in Baden-Württemberg knacken. Momentan haben die im Verband organisierten 890 Unternehmen 3,65 Millionen Mitglieder. Woher sollen die neuen Mitglieder kommen? Und bis wann?
Zum einen natürlich durch Neugründungen von Genossenschaften. Seit etwa sechs Jahren verzeichnen wir erfreulicherweise im Durchschnitt 30 bis 40 Gründungen pro Jahr, vorwiegend im Bereich Energie. Und der Trend hält an. Aber es gibt auch noch ein erhebliches Potenzial bei bestehenden Genossenschaften. Einen Zeitraum für dieses Ziel möchte ich nicht nennen. Aber wir werden die genossenschaftliche Unternehmensform noch stärker in der Öffentlichkeit darstellen. Es gibt eine ganze Reihe an Feldern, für die Genossenschaften eine ideale Lösung sind.

Welche sind das?
Das geht über Energiegenossenschaften bis hin zur Organisation neuer Wohnformen im Alter. Auch Schulen könnten genossenschaftlich organisiert werden. Oder denken Sie etwa an Ärztegenossenschaften oder Pflegedienste. Und natürlich ist auch für Dorfläden eine genossenschaftliche Organisation sinnvoll. Doch auch bei bestehenden Genossenschaften können wir die Zahl der Mitglieder noch steigern. Allein bei den Genossenschaftsbanken sind im letzten Jahr 70 000 Mitglieder neu hinzugekommen. Mit 3,5 Millionen ist der Bankbereich der weitaus mitgliederstärkste.

Wollen die Banken noch neue Mitglieder? Die Mitgliederanteile werden deutlich höher verzinst als die Sparguthaben.
Die absolute Höhe der Dividende ist das eine, die Höhe des einzelnen Geschäftsguthabens das andere. Der Trend geht eindeutig zu einer Erhöhung der Mitgliederzahlen bei allerdings kleineren Geschäftsguthaben des einzelnen Mitglieds. Eine Genossenschaft ist keine Kapitalanlagegesellschaft, sondern ein Förderinstitut für ihre Mitglieder.

Werden die Banken die Dividenden von vier bis fünf Prozent halten können?
Die Entscheidung über die Dividende liegt bei den Instituten. Da hat der Verband keinen unmittelbaren Einfluss. Ich könnte mir schon vorstellen, dass die eine oder andere Bank auch über die Dividendenhöhe nachdenkt, wenn die Niedrigzinsphase anhält. Als Signalwirkung, nicht aus wirtschaftlichen Gründen.

Im Grunde bezahlen alle Sparer die Maßnahmen zur Rettung des Euro. Die Zinsen sind lächerlich niedrig. Glauben Sie, dass sich dies in absehbarer Zeit ändert?
Schwer zu sagen. Wenn man die jüngsten Äußerungen von Zentralbankchef Mario Draghi richtig interpretiert, ist zumindest nicht mit einer weiteren Leitzinssenkung zu rechnen. Es könnte sogar eine Zinsanhebung wahrscheinlich werden, wenn sich die Wirtschaft erholt. Das anhaltend niedrige Zinsniveau ist in mehrerer Hinsicht schädlich. Insbesondere für die Sparer, weil ja de facto Vermögensvernichtung betrieben wird, wenn die Zinsen unter der Inflationsrate liegen.

Sind denn die Volks- und Raiffeisenbanken wirklich gezwungen, sich an der Vermögensvernichtung zu beteiligen?
Die Kunden der genossenschaftlichen Banken haben zahlreiche Möglichkeiten, ihrem Rendite- und Risikoprofil entsprechend geeignete Anlageformen zu finden. Im Übrigen bilden sich die Zinsen grundsätzlich in funktionierenden Märkten heraus. Daher ist es ordnungspolitisch mehr als bedenklich, wenn gerade staatlich gestützt Banken nicht marktgerechte Zinsen bieten, um sich letztlich zu Lasten der Steuerzahler Marktanteile zu kaufen.

Warum sind die niedrigen Zinsen noch schädlich?
Der Kapitalstock einer Volkswirtschaft, also das Volksvermögen, wird durch ein extrem niedriges Zinsniveau logischerweise nicht gesteigert. Aber diese Politik ist vermutlich die gesellschaftlich noch am ehesten akzeptierte Form, die hohe Schuldenlast der Euroländer zu reduzieren. Dass dies ein gewisses Inflationspotenzial birgt, ist allerdings auch klar.

Wie hoch ist denn die Gefahr der Geldentwertung durch Inflation?
Ich glaube, dass die Inflationsraten bis auf Weiteres auf einem gemäßigten Niveau bleiben. Allein schon deshalb, weil ein großer Teil des umlaufenden Geldes gar nicht im Wirtschaftskreislauf ankommt, sondern im Bankenkreislauf bleibt.

Die Landesbank hat durch die Umwandlung der stillen Einlagen in hartes Kernkapital eine weitere millionenschwere Unterstützung von ihren Eigentümern bekommen. Ist das in Ordnung?
Ob das für die Eigentümer in Ordnung ist, können nur diese selbst beantworten. Grundsätzlich sehe ich die Rolle des Staates bei der Rettung von Banken ordnungspolitisch gesehen eher kritisch. Ich werde daher nicht müde zu betonen, dass ausschließlich der genossenschaftliche Bankensektor die Finanzkrise der vergangenen Jahre ohne Hilfe der Steuerzahler gemeistert hat – bis auf den heutigen Tag. Offensichtlich ist unser Geschäftsmodell besonders tragfähig.

Ist die LBBW Ihrer Meinung nach eine systemrelevante Bank?
Die LBBW hat sicherlich eine beachtliche Funktion. Die Frage der Systemrelevanz hat weitreichende Implikationen. Die schiere Höhe der Bilanzsumme reicht zur Beurteilung dabei nicht aus.

Auch im Land gab und gibt es ja immer wieder Volksbanken, die sich in der Geschäftspolitik vergaloppiert haben. Jüngstes Beispiel ist die Volksbank Schwäbisch Gmünd. Muss der Verband mehr Vorsorge treffen, um Sanierungsfälle zu vermeiden?
Die genossenschaftliche Prüfung geht schon von ihrem gesetzlichen Auftrag her über die Prüfung etwa einer Aktiengesellschaft hinaus. Es wird nicht nur der Jahresabschluss geprüft, sondern auch die Ordnungsmäßigkeit der laufenden Geschäftsführung. Wenn der Verband Hinweise hat, dass dieses Prinzip verletzt wird, diskutieren wir mit Vorstand und Aufsichtsrat. Handeln müssen dann selbstverständlich die Verantwortlichen in der Bank. Unser Präventionssystem haben wir laufend verfeinert. Wir haben aus jedem Sanierungsfall Lehren gezogen.

Die Volksbanken arbeiten äußerst profitabel. Aus dem Bundesbankbericht geht hervor, dass die durchschnittliche Eigenkapitalrendite nach Steuern im Jahr 2011 bei 11,85 Prozent lag. Geraten Sie da nicht in den Ruch, ähnlich profitorientiert zu sein wie eine Privatbank?
Ganz und gar nicht. Die Eigenkapitalrendite ist keine Größe, an der ein Volksbankvorstand die Geschäftspolitik ausrichtet. Die Bank unterliegt nicht dem Primat der Gewinnmaximierung, sondern sie will ihren Förderungsauftrag gegenüber Kunden und Mitgliedern erfüllen.

Trotz guter Gewinne wollen die Institute ihre Mitarbeiter tarifpolitisch schlechterstellen. Die als arbeitgeberfreundlich geltenden Gewerkschaften Deutscher Bankangestelltenverband (DBV) und Deutscher Handels- und Industrieangestelltenverband (DHV) werden gegenüber Verdi bevorzugt. Das beunruhigt und empört viele Beschäftigte. Können Sie das nachvollziehen?
Der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband ist kein Tarifpartner. Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten: Die in den letzten sechs Jahren abgeschlossenen Tarifverträge im genossenschaftlichen Bankensektor sind merklich besser ausgefallen als die Abschlüsse von Verdi mit anderen Kreditinstituten. Im Übrigen haben die genossenschaftlichen Banken eine sehr positive und kooperative Einstellung zu ihren Mitarbeitern. Sie sichern mehr Arbeitsplätze und bilden mehr junge Menschen aus als etwa die Großbanken. Allein im vergangenen Jahr haben die Genossenschaftsbanken bundesweit rund 1000 Arbeitsplätze geschaffen, während andere Institute Stellen abgebaut haben.

Die Volksbanken sind immer noch eine Männerwelt. Gibt es Ansätze, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen? Wäre eine Quote für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder ein sinnvolles Instrument?
Eine Quote halte ich nicht für sinnvoll. Bei der Förderung von Frauen sehe ich keine Defizite. Wir bieten in der Gruppe vielfältige Möglichkeiten zur Weiterqualifikation. Bei uns werden Frauen mit Sicherheit nicht ausgebremst. Immerhin haben wir in unseren 226 Banken bereits heute 22 weibliche Vorstandsmitglieder. Übrigens ziehen auch in die Aufsichtsräte zunehmend Frauen ein. Das ist erfreulich. Entscheidend ist aber immer die Qualifikation.

Bundesweit gibt es nur noch fünf regionale Genossenschaftsverbände. Jüngst hat sich der in Frankfurt und Hannover ansässige Genossenschaftsverband mit seinem sächsisch-thüringischen Pendant zusammengeschlossen. Könnte eine Fusion mit dem bayerischen Genossenschaftsverband eines Tages wieder ein Thema werden?
Dazu eine klare Antwort: Wir haben derzeit 890 Mitgliedsunternehmen mit rund 35 000 Beschäftigten in einem wirtschaftlich starken Bundesland. Wir setzen auf die Nähe zu den Mitgliedern. Deshalb beschäftigen wir uns definitiv nicht mit einer länderübergreifenden Fusion.