Ein Gespräch mit der Stuttgarter Sportkletterin Sarah Burmester über den Tanz in der Vertikalen und die selbstverschuldete Unmündigkeit von Frauen am Berg.

Stuttgart - – - Stuttgart gilt nach München als Vize-Kletterhauptstadt der Republik, 20 000 Aktive betätigen sich hier in drei Kletterhallen und in freier Natur. Sarah Burmester hat als Jugendliche in den Buntsandsteinfelsen der Nordeifel angefangen zu klettern. Nach dem Abitur studierte sie Internationale Politik und BWL, orientierte sich in Richtung Journalismus, kam dann über Umwege als Texterin und Redakteurin nach Stuttgart. Bei der Webseite „klettern.de“ hat sie eine Drei-Tage-Woche, außerdem arbeitet sie als Routensetzerin in Kletterhallen, gibt Kurse, unter anderem spezielle „Girls Camps“, oder klettert zum puren Vergnügen. Ein Gespräch mit der 37-jährigen Buchautorin in der Kletterhalle des Alpenvereins auf der Waldau.
Frau Burmester, die Kletterin Emmy Eisenberg hat zu Anfang des 20. Jahrhunderts gesagt: „Die Gipfel sind die einzigen sichtbaren Ideale, die man schnell erreichen kann.“ Können Sie mit dem Satz etwas anfangen?
Jein. Sie sind zwar sichtbar, aber ich finde nicht, dass sie immer schnell zu erreichen sind. Wobei für mich das Klettern gar nicht so viel mit Gipfeln zu tun hat. Klettern ist ja ein weites Feld, es reicht vom Bouldern in drei Meter Höhe mit dicken Matten auf dem Boden bis zur Besteigung von Achttausendern. Mein Fokus liegt beim Sportklettern, beim kalkulierteren Vorgehen. Ich bin nicht der klassische Bergsteiger, sondern gehöre vielleicht eher zur neuen Generation.
Was meinen Sie mit neuer Generation?
Darunter verstehe ich Sportkletterer, wie wir sie hier teilweise gerade in der Halle sehen. Uns geht es um die Bewegung, das Spiel mit Schwerkraft und Akrobatik, nicht unbedingt darum, uns zu vergleichen, in der Art: „Hey, was war denn deine höchste Wand?“ Es geht um die vielleicht etwas harmlosere Variante, um Fragen wie: Was kann ich gerade noch festhalten? Wie muss ich meinen Körper bewegen? Was kann ich tun, damit das noch besser funktioniert?
Zu Emmy Eisenbergs Zeiten waren kletternde Frauen noch ungeliebte Exotinnen. Inzwischen ist das Klettern für Frauen ein Trendsport geworden, hier in der Halle klettern im Moment deutlich mehr Frauen als Männer. Woran liegt das?
Die derzeitige Beliebtheit des Kletterns liegt sicher darin begründet, dass es ein Sport ist, bei dem man keine Nachteile durch sein Geschlecht hat. Natürlich haben Männer und Frauen beim Klettern unterschiedliche Stärken und Schwächen, die lassen sich aber ausgleichen. Man sieht an der Schwierigkeitsentwicklung, an dem, was heutzutage von Frauen geklettert wird, dass die Sache insgesamt sehr offen und undiskriminierend ist. Und in den Kletterhallen ist der Einstieg in das Hobby jetzt an vielen Orten und auch relativ sicher möglich.
Trainiert man an diesen steilen Wänden voller kleiner Haltemöglichkeiten auch das Selbstbewusstsein?
Ja, wobei sich das auf jeden Fall auf beide Geschlechter bezieht. Ich denke, dass es universell Freude macht, sich mit der eigenen Angst auseinanderzusetzen, sich selbst zu pushen und an die Grenzen zu gehen. Und dass es jedem guttun kann, sie auszuprobieren.
In Ihrem neuen Handbuch „Bouldern & Klettern“ bescheinigen Sie Frauen aber schon „geschlechtsspezifische Vorteile“ bei dieser Freizeitbeschäftigung. Wie sehen die aus?
Männer haben eventuell mehr Kraft, aber ein klassischer Vorteil für Frauen ist, dass sie über mehr Beweglichkeit, Balancegefühl, Sensibilität für den Körper verfügen. Darüber hinaus gibt es den Gewichtsvorteil: Wenn ich leichter bin, brauche ich nicht so viel die Wand hochzuschleppen. Das ist sozusagen fair: Jeder muss nur sein eigenes Gewicht tragen. Kraft zu trainieren ist leichter, als Technik und Balance zu verbessern. Das erfordert viel mehr Arbeit.
Sie sagen, Klettern sei für Sie mehr, als sich in einer Wand aufwärts zu bewegen.
Draußen in der Natur zu sein ist toll, die soziale Komponente ist wichtig, das Zusammensein mit Freunden und die Frage, wie viel Zutrauen ich in andere Menschen setze. Beim Klettern ist es ja so, dass ich meinem Sicherungspartner meine Gesundheit anvertraue – und umgekehrt. Es entsteht eine andere Verbundenheit, wenn man zusammen eine Wand bezwingt, als zum Beispiel beim gemeinsamen Tennisspielen.
Die Paare, die ich hier zusammen klettern sehe, wirken sehr ernsthaft.
Das gehört natürlich schon dazu, aber Klettern kann auch viel Spaß machen, wenn man sich nicht zu sehr in irgendwelche Ambitionen oder Ziele verbeißt.