Peter Boudgoust, der Intendant des SWR, spricht im StZ-Interview über die Macht der Quoten und die Zukunft der Kultur in seinem Haus.

Stuttgart - Der Südwestrundfunk macht derzeit Schlagzeilen. Sei es durch sein schwaches Abschneiden im ARD-Vergleich, sei es durch die Debatte um die beiden Radio-Sinfonieorchester und allgemeine Sparzwänge. Der Intendant Peter Boudgoust bezieht nun Stellung.

 


Herr Boudgoust, seit vierzehn Jahren gibt es den SWR, seit fünf Jahren leiten Sie ihn. Wie ist seine Stellung innerhalb der ARD? Sind Sie mit dem, was die zweitgrößte Rundfunkanstalt für das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland leistet, zufrieden?
Ja. Wir werden nicht wegen unserer schieren Größe geschätzt, sondern wegen der Programme, die wir für das Erste zuliefern. Unsere Fernsehfilme sorgen für Gesprächsstoff und behandeln relevante Themen wie Scientology oder das Stasi-Frauengefängnis Hoheneck und historische Inhalte, das reicht von „Stauffenberg“ über „Rommel“ bis zu einem Spielfilm über den Hitler-Attentäter Georg Elser, den wir 2013 produzieren werden. Wir kombinieren anspruchsvolle fiktionale Stoffe mit hintergründigen Dokumentationen und Gesprächsrunden; dieses Event-Format haben wir im SWR mit erfunden. Unser jüngster „Tatort“-Krimi „Scherbenhaufen“ aus Stuttgart hat nicht nur beste Kritiken, sondern auch beste Quoten erzielt. Das ist ja im Übrigen genau unsere Senderphilosophie: Der Stuttgarter „Tatort“ ist regional verwurzelt, hat aber eben ein zeitgemäßes Gewand und ist darum alles andere als provinziell. Wir sind die Stimme des deutschen Südwestens.

Wenn Ihr Konzept regional geprägter Inhalte auch überregional so erfolgreich ist, warum funktioniert das dann ausgerechnet beim eigenen SWR- Fernsehen so schlecht, das im Quotenranking der ARD-Dritten nur knapp vor Radio Berlin-Brandenburg auf dem vorletzten Platz schmort?
Ich finde es seltsam, dass dieselben Beobachter, die uns gern mal übertriebene Quotenfixierung vorwerfen, an anderer Stelle so auf Quotenrankings abheben. Diese Unterschiede bei der Nutzung der dritten Fernsehprogramme bewegen sich teilweise im Zehntelbereich hinterm Komma. Wir setzen beim SWR-Fernsehen schon seit geraumer Zeit auf anspruchsvolle Stoffe und verzeichnen exakt damit auch Erfolge. Auch unsere „Landesschau“ ist inzwischen ein frisches, journalistisch hervorragend gemachtes Magazin geworden. Oder nehmen Sie unser landespolitisches Magazin „Zur Sache“ und die Doku-Reihe „Betrifft“. Das sind alles Sendungen, die nicht vorrangig auf Quote abzielen, sondern sich durch Relevanz auszeichnen und deshalb beim Zuschauer erfolgreich sind.

Aber damit endet die Ausstrahlung auch an den Landesgrenzen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, oder? Das machen NDR, WDR, MDR und die Bayern anders, deren dritte Programme gern bundesweit eingeschaltet werden.
Das Ziel der regionalen Kompetenz ist ein berechtigter Anspruch an uns als Öffentlich-Rechtliche; meine Ambitionen gehen gar nicht in Richtung bundesweiter Marktführerschaft. Wir wollen ja auch ein Lebensgefühl vermitteln. Der Südwesten, das ist eine bestimmte Haltung. Und deshalb bekommen wir positive Resonanz auf unser SWR-Fernsehen auch von Zuschauern aus Berlin oder Hamburg.

Vermutlich von den Exilschwaben, doch sei’s drum. Nun wollen Sie einerseits in neue Programme investieren und verordnen dem SWR andererseits eine große Spardebatte. Bis zum Jahr 2020 sollen in allen Bereichen rund 15 Prozent der Ausgaben gekürzt werden, um den strukturell sinkenden Gebühreneinnahmen der Öffentlich-Rechtlichen Rechnung zu tragen. Erste Sparideen beispielsweise bei den SWR-Regionalstudios in Freiburg, Tübingen oder Ulm haben bereits den Protest von Politikern hervorgerufen. Warum machen Sie dieses Fass auf?
Wir geben viel Geld aus für unsere regionale Sender- und Programmstruktur. Auch hier zeigt sich ja unsere Regionalität als Alleinstellungsmerkmal. Aber natürlich sind mir Inhalte wichtiger als Strukturen. Wenn wir feststellen, dass viel Aufwand nötig ist, um etwa das Morgenmagazin unserer Hörfunkwelle SWR 4 sieben Mal regional auseinanderzuschalten, mit großen Kosten für Technik, Redaktion und Moderation, dann sage ich, lass uns doch im Zweifel lieber auf unsere regionalen Reporter setzen, die uns interessante Geschichten aus der Region für alle Programme in Hörfunk, Fernsehen und Internet zuliefern.

Sie planen keinen Rückzug aus der Region?
Ganz und gar nicht. Und ich verstehe ja, dass in der Region aktive Politiker hier besonders wachsam sind. Aber ich finde es auch widersprüchlich, wenn von uns beständig Kostenbewusstsein und Strukturreformen verlangt werden, beides aber im Einzelfall natürlich nie Auswirkungen für den eigenen Landkreis oder die eigene Stadt haben soll. Jedenfalls werden weder Studios noch Büros geschlossen, regionale Berichterstattung ist aber längst nicht nur ein Thema für SWR 4.

Und trotzdem fragt man sich, warum Sie jetzt nach Jahren mühsamer Selbstfindung den SWR intern schon wieder in Krisenstimmung versetzen – für ein Sparziel, das noch acht Jahre hin ist.
Ich sehe das Krisenhafte der Debatte nicht. Wir machen uns rechtzeitig Gedanken darüber, wie wir eine Finanzierungslücke von 166 Millionen Euro vermeiden können, die kommen wird, wenn wir jetzt die Weichen nicht richtig stellen. Oder sollten wir warten, bis die Probleme unlösbar geworden sind?

Wenn Sie einzelnen Bereichen wie dem Kulturprogramm SWR 2 sogar 25 Prozent Einsparungen bis 2020 verordnen, dann ist doch klar, dass das von den Redakteuren und den Hörern als Krise wahrgenommen wird.
Dass SWR 2 für sein anspruchsvolles Kulturprogramm mehr Ressourcen benötigt als andere Wellen, liegt in der Natur der Sache. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Aber wir können diese Welle von unseren Sparbemühungen auch nicht einfach ausnehmen. Wir glauben, dass wir auch bei SWR 2 sparen können und trotzdem eine Kulturwelle behalten, die überregional Maßstäbe setzt.

Wird aus SWR 2 ein Programm, das sich so wie beim NDR und beim RBB tagsüber anhört wie Klassik Radio, um abends noch ein Hörspiel aus dem Archiv zu bringen?
Nein. SWR 2 bleibt ein ambitioniertes Einschaltradio, das darüber hinaus versucht, immer wieder auch jene Hörer neugierig zu machen, die vielleicht nicht regelmäßig ins Konzert gehen. Information, Bildung und Unterhaltung, das sind die Programmaufträge des Gesetzgebers an uns. Deswegen werden wir auch die Kulturvermittlung stets als Ziel vor Augen haben. Keine oberflächliche Kosten-Nutzen-Rechnung dieser Welt wird uns daran hindern.

Zur Tradition des Kulturauftrags gehören auch Ihre Orchester und Chöre. Warum wollen Sie dort nur einsparen, warum, ketzerisch gefragt, schaffen Sie sie nicht ab?
Weil sie ein wichtiger Teil unseres Erbes sind. Sie sind unerlässlich für die Kulturvermittlung. Neben dem klassischen Publikum erreichen wir zum Beispiel auch viele Kinder mit den Angeboten der Klangkörper, in dem wir Schulklassen in unsere Konzerte einladen oder mit unseren Musikerinnen und Musikern in die Schulen gehen. Das alles bedeutet aber nicht, dass wir das gesamte Angebotsspektrum unverändert festschreiben können, wenn sich die Rahmenbedingungen verschlechtern.

Aus ihrem Hause heißt es mittlerweile, dass eine Fusion der beiden Sinfonieorchester „die plausibelste Alternative“ sei.
Natürlich gehen wir nicht in eine ungeordnete Diskussion. Wir haben intern die Alternativen bedacht, Pro und Kontra bewertet. Deswegen ist die Zusammenführung der Orchester derzeit die Option, die am plausibelsten erscheint, das ist richtig. Aber wir sind offen für andere Vorschläge.

Angenommen, man würde im Jahr 2016 mit der Fusion beginnen, bis wann wäre das Einsparergebnis aufgrund bestehender Personalverträge zu erzielen? Wir schätzen, frühestens in fünfzehn Jahren.
Die Effekte werden sich eher mittelfristig auswirken, da haben Sie recht. Wir haben ein Sparziel: fünf Millionen Euro zusammen für beide Orchester. Die schlechteste Lösung wäre aber doch, die Orchester einem schleichenden Einsparprozess auszusetzen. Sie sind jetzt schon an der unteren Grenze in der Stellenausstattung angekommen.

Wozu braucht die ARD überhaupt noch eigene Orchester und Chöre?
Orchester kann man nicht unter Effizienzgesichtspunkten beurteilen. Tatsächlich haben sie früher andere Aufgaben wahrgenommen. Aber wenn man den Kulturvermittlungsauftrag bejaht, und das tue ich, dann sind wir gut beraten, pfleglich mit diesem Erbe umzugehen. Das sind Orchester der Spitzenklasse, anerkannt auch außerhalb des Sendegebiets und Deutschlands.

Aber wenn Sie schon beim Sparen sind, warum führen Sie nicht endlich die Standorte Stuttgart und Baden-Baden zusammen?
Es gibt auch hier ein Erbe, das Teil unserer DNA ist. Wir sind aus zwei Sendern zusammengewachsen, und einer der beiden Sender hatte sein Zentrum in Baden-Baden. Wir haben mit dieser Vielfalt zu leben und effizient zu arbeiten gelernt. Davon abgesehen gibt es auch die umgekehrte Perspektive: Für Baden-Baden sind die dortigen Arbeitsplätze außerordentlich wichtig. Und Sie können die großen Produktionsstätten in Baden-Baden nicht einfach so verpflanzen.

Wird es mit der grün-roten Landesregierung in Stuttgart und der rot-grünen Landesregierung in Mainz zu einem reformierten SWR-Staatsvertrag kommen?
Es gibt dafür Signale. Ich würde jeden Staatsvertrag sehr begrüßen, der uns etwa bei der Verteilung von Programmen auf Standorte weniger politische Vorgaben macht.

Herr Boudgoust, Sie bohren als Intendant offenbar am liebsten die dicksten Bretter. Selbst bei Ihrem Lieblingsthema Jugendkanal lassen Sie nicht locker, obwohl die ARD-Vorsitzende doch schon gesagt hat, es gibt kein Geld dafür.
Die ARD-Vorsitzende hat völlig recht in der Beschreibung der aktuellen Lage. Aber ich bin ja ein ruhiger Typ und habe an den richtigen Stellen Geduld. Mehr öffentlich-rechtliches Programm für Jüngere kann der Gesellschaft nur nützen.
Das Gespräch führten Joachim Dorfs,Tim Schleider und Götz Thieme.