Böblingen : Ulrich Stolte (uls)


Hat der Flug Ihre eigene Wissenschaftskarriere befördert?
In allen Disziplinen habe ich unheimlich viel dazugelernt. Wir haben allerdings die Auflage gehabt, nicht zu publizieren.

Das enttäuscht einen doch sicher.
Es ist aber nachvollziehbar. Sonst könnte ein Wissenschaftler auf der Erde sagen: „Wenn du mein Experiment besonders gut machst, dann darfst du mitpublizieren.“ Dann mögen die anderen denken, der Astronaut Merbold kümmert sich um jenen Versuch besonders intensiv – zu Lasten eines anderen. Ich habe aber eine kleine Nische gefunden und ein paar Veröffentlichungen geschrieben, über die Störungen der Schwerelosigkeit durch unsere Flugmanöver. Das war für viele Experimente eine willkommene Zusatzinformation.

Was tut ein Astronaut, wenn er in Rente ist?
Ich habe nicht aufgepasst und viele Ehrenämter übernommen. Ich will noch ein paar Semester Germanistik studieren. Das vertiefte Wissen über die deutsche Sprache und die Literatur ist das, was mich noch interessiert. Ich habe jetzt auch relativ viel Klavier gespielt. Das ist für einen Wissenschaftler vielleicht auch eine Form, eine Balance zu kriegen zwischen dem Rationalen und dem mehr Emotional-Kreativen.

Einstein war ein begeisterter Geiger.
Und Heisenberg ein großer Pianist.

Was interessiert Sie an der Germanistik?
Ein Dichter, der mich als Jugendlicher in der DDR-Zeit schon getröstet hat, war Schiller, weil beim ihm die Gerechtigkeit obsiegt. Was hat er doch für Spuren hinterlassen, und er ist nur 46 Jahre geworden.

Es gibt Menschen, die erlöschen einfach, weil sie ein ganzes Leben lang gebrannt haben.
Denken Sie an die vielen Sprachwendungen, die auf ihn zurück gehen: „Von der Stirne heiß, rinnen muss der Schweiß.“ Oder wenn man sich Maria Stuart anschaut, was da für eine Psychologie drin steckt.

In der Schule fand ich es sterbenslangweilig
Sollten Sie mal wieder lesen.

Hat sich durch diese eine Chance, unter 2000 Bewerbern für den ersten europäischen Raumflug ausgewählt zur werden, Ihr ganzes Leben verändert?
Ja . . .  uff . . .  ja, das kann man sagen. Und wenn es mich nicht so fasziniert hätte, hätte ich keine weiteren Flüge unternommen. Ich hatte die singuläre Chance, an vielen Stellen der Wissenschaft mich durch die Grenzlinie durchzuarbeiten, die zwischen Bekanntem und Nichtbekanntem liegt. Ich hatte fünf Angebote, an eine Hochschule zu gehen, doch ich dachte, meine Erfahrung wäre in der Raumfahrt am wirksamsten.

Und Sie hätten keine Fragen beantworten könnten, die die Menschheit weiterbringen.
Was ich über mich sagen kann ist, neugierig zu sein. Diese Welt, die ist so farbig und interessant, dass die Stunden eines Tages nicht ausreichen, allen Dingen nachzugehen, die mich interessieren. Diese Neugierde für die Wissenschaft hat mich als junger Mensch dazu gebracht, Thüringen zurück zu lassen, weil ich unbedingt Physik studieren wollte. Das war die schwierigste Entscheidung in meinem Leben, da war ich 19. Das zweite aber, das mich nicht kaltlässt, und woran ich immer noch eine kindliche Freude habe, ist: fliegen!

Können Sie über Ihre Ausflüge ins All sagen: Ein kleiner Schritt für mich und ein großer Schritt für die Menschheit?
Nein, diese Lorbeeren die stehen mir nicht zu, die gehören denjenigen, die sich die Experimente ausgedacht und die Organisatoren der European Space Agency überredet haben, sie im Spacelab durchzuführen.