Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)
Und die andere Gruppe?
Dann gibt es noch die Gruppe von Menschen, die vor ihrer Radikalisierung eigentlich ganz unauffällig waren. Sie lassen sich radikalisieren, wenn sie in die Fänge von charismatischen, hochmanipulativen Menschen geraten, denen sie intellektuell und von ihrer inneren Widerstandskraft nicht gewachsen sind. Charismatische Personen beeinflussen die Menschen, die in ihrem Leben auf der Suche sind, ihren Platz noch nicht gefunden haben oder gerade abgleiten. Islamistische Terroristen stammen außerhalb des Westens aber durchaus oft nicht aus einem dissozialen Milieu.
Wo liegt dann die Ursache für die Gewalt?
Terror ist das Ergebnis von Fanatisierung auf der Handlungsebene. Fanatismus basiert auf einem Mechanismus, den der Psychoanalytiker Arno Gruen sehr genau beschrieben hat: den nach außen verlagerten inneren Feind. Das „Böse“ ist im Außen verortet und wenn man es dort „ausrottet“, ist die Welt edel, heile, rein. Die Welt wird durch Radikalisierung einfacher, sie verliert an Komplexität und Widersprüchlichkeit. Das ist das vermeintlich Anziehende.
Unser Gesellschaftsentwurf steht dagegen.
Je freier eine Gesellschaft ist, desto größer ist der Anspruch an das Individuum, mit Widersprüchlichkeiten umzugehen und sich gegen Verführungen abzugrenzen. Das ist die große, ernste Herausforderung, die Demokratien an den einzelnen stellen. Fühlen sich Menschen damit mehrheitlich überfordert und verlieren den Wert der Pluralität aus den Augen, die auf der Berechtigung der Unterschiedlichkeit von Menschen beruht, entsteht Raum für Radikalisierung und für Fanatismus. Diese Mechanismen geben verunsicherten, unzufriedenen Menschen Halt. Als Gewalttäter steht man im Abseits. Beim Anschluss an eine Terrororganisation kann man seine Eigenschaften sanktionsfrei ausleben.
Warum wirkt gerade Religion so anziehend?
Die religiöse Aufhängung hat den Vorteil, dass sie mit der allerhöchsten moralischen Instanz arbeitet. Der göttliche Wille ist absolut und nicht hinterfragbar. Das kennen wir auch aus der Geschichte des Absolutismus. Ludwig XIV war Monarch von Gottes Gnaden. Hitler arbeitete mit dem Begriff der „Vorsehung“, das ist zwar nicht religiös gewesen, aber immerhin auch metaphysisch angesiedelt.