Von Januar an übernimmt Jutta Conrad die Verantwortung beim Birkacher Sozialfonds. Im Interview sprechen sie und ihr Vorgänger Rolf Lehmann über die Arbeit.

Stuttgart-Birkach - Mit 80 000 Euro haben Walter und Gertrud Billing Ende 2004 den Grundstein für den Birkacher Sozialfonds gelegt. Ihr Wunsch: Mit dem Geld soll Menschen in Birkach geholfen werden. Geleitet wird der Fonds von Bezirksvorsteher Edgar Hemmerich, Pfarrerin Ursula Wilhelm und Altbürgermeister Rolf Lehman. Letzterer gibt sein Amt zum neuen Jahr in die Hände von Jutta Conrad. Wir sprachen mit den beiden Birkachern.

 

Herr Lehmann, warum geben Sie ihr Amt ab?
Lehmann: Nächstes Jahr werde ich 75. Ich finde, man sollte so etwas rechtzeitig machen. Außerdem merke ich, dass ich älter und vielleicht manchmal auch etwas umständlicher werde und mich vieles mehr schlaucht als früher. Zum 70. Geburtstag habe ich alle großen Ämter niedergelegt. Mit dem 75. folgen jetzt die letzten kleineren Aufgaben.

Und wie ist die Wahl auf Frau Conrad als Ihre Nachfolgerin gefallen?
Lehmann: Frau Conrad ist eine sehr gute Besetzung. Denn als Kirchenpflegerin der evangelischen Gemeinde ist sie schon seit Gründung des Sozialfonds 2005 in die Abläufe miteinbezogen. Jede Überweisung ist durch ihre Hände gegangen. Zudem kennt sie als Kirchenpflegerin, Kirchengemeinderatsmitglied und zweifache Mutter viele Menschen im Bezirk. Das ist wichtig, um auf manche Fälle überhaupt aufmerksam zu werden. Außerdem ist sie mit 45 Jahren eine wirkliche Verjüngung. Ich finde es immer etwas läppisch, wenn ein 75-Jähriger sein Amt einem 72-Jährigen übergibt und von Verjüngung spricht.
Conrad: Im November ist Herr Lehmann mit Herrn Hemmerich und Frau Wilhelm auf mich zugekommen. Ich fühle mich sehr geehrt, dass sie an mich dachten. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Ehrenamt.
Für wen genau ist der Sozialfonds gedacht?
Lehmann: Walter Belling war eines sehr wichtig. Er wollte Bedürftigen helfen, die nicht irgendwo leben, sondern in der Nachbarschaft. Dort helfen wir jenen, denen keiner mehr hilft. Wenn das Sozialamt etwa nicht mehr einspringt. Es gibt Menschen, die liegen mit ihrer Rente zehn Euro über irgendwelchen Bemessungsgrenzen, können sich damit aber kein Essen oder keinen Herd zum Essenmachen leisten. Unser Sozialsystem in Deutschland ist wirklich hervorragend. Aber die Bürokratie ist lebensfeindlich. Darum überbrücken wir auch manchmal, bis das Amt überhaupt reagiert.
Conrad: Das Problem sind die langen Wege in der Behörde. Bis die Heizbeihilfe bewilligt und bezahlt wird, ist der Winter vorbei.

Gibt es Beispiele aus den vergangenen sieben Jahren, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Lehmann: Wir hatten einmal einen Jugendlichen, der einen Ausbildungsplatz in Kiel bekommen hat. Er konnte sich die Fahrkarte dorthin aber nicht leisten. Schließlich haben wir sie bezahlt, und er hatte einen Job. Das Tolle ist, dass wir keinen Regeln unterliegen und alles fördern können, was wir für sinnvoll erachten.
Conrad: Einmal gab es einen Fall von häuslicher Gewalt. Die Frau schaffte den Absprung und zog mit den Kindern aus. Bis die Anträge beim Amt gestellt waren, mussten wir aushelfen, da der Mann seiner Familie keinen Cent mehr gab.

Ist genug Geld für all diese Fälle da?
Lehmann: Ja und nein. Walter Belling wollte mit seiner großzügigen Spende eigentlich eine Initialzündung geben und hoffte, dass mehr Menschen aus Birkach, denen es finanziell gut geht, etwas abgeben. Das hat so leider nicht funktioniert, Nachahmer im großen Stil haben wir nicht gefunden. Wir haben die 80 000 Euro aber gut angelegt und den Betrag im Fonds immer Pi mal Daumen gehalten.
Conrad: Inzwischen müssten es sogar schon knapp 90 000 Euro sein. Zwar gab es keine solch großen Spenden mehr, aber wir bekommen immer wieder kleine Spenden und Zustiftungen. Eine ganz tolle Sache gab es vergangenes Jahr. Zwei Privatpersonen feierten ihren Geburtstag und baten ihre Gäste um Spenden für uns anstelle von Geschenken.
Lehmann: Auch an der Beerdigung von Walter Belling baten wir um Spenden statt Blumen. Belling wollte eigentlich immer die 100 000 Euro erleben. Das schaffte er leider nicht.

Frau Conrad, haben Sie schon Pläne geschmiedet, wie Sie Ihre neue Aufgabe angehen wollen?
Conrad: Nein, denn ich weiß ja schon recht genau, was auf mich zukommt. Aber ich freue mich sehr darauf. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir weiter helfen können und dass wir tatkräftige Unterstützer finden, ohne die der Sozialfonds nicht existieren kann. Und ich hoffe, dass die Zusammenarbeit mit Sozialamt oder Sozialarbeitern und den Bürgern weiter so gut klappt. Nur durch ihre Mithilfe werden wir auf die meisten Fälle überhaupt aufmerksam.

Und was haben Sie sich für den endgültigen Ruhestand vorgenommen, Herr Lehmann?
Lehmann: Gar nichts – das ist ja das Schöne. Ich kann jetzt alles auf mich zukommen lassen und einfach leben. Ich wünsche mir für die Zukunft lediglich, dass es weiterhin Menschen und Gruppierungen gibt, die den Sozialfonds unterstützen.

Der Sozialfonds Birkach ist angesiedelt bei der evangelischen Kirchengemeinde, Kontonummer 326 053 006 bei der Stuttgarter Volksbank, Bankleitzahl 600 901 00.