Deutschland bleibt größter Mitgliedstaat, stellt mit 96 die meisten Abgeordneten. Sinkt wirklich der Einfluss, wenn ein paar ihr eigenes Ding machen?
Einfluss wird nicht dadurch ausgeübt, dass man in allen Spektren vertreten ist, sondern in den Fraktionen präsent ist, die zur Gestaltung der europäischen Politik beitragen. Das war immer Deutschlands Stärke, und diese Stärke nehmen wir uns jetzt.
Deutschland wird bei der Europawahl das einzige Land ohne echte Hürde sein. Weniger als ein Prozent der Stimmen reichen für einen Sitz. Im kleinen Luxemburg müssen es rund 16 Prozent für ein Mandat sein.
Ich kann mich an eine Zeit erinnern, als Frankreich mit Abgeordneten sehr vieler Parteien nach Straßburg kam – sogar mit einer Partei der Jäger und Sammler. Erst wurde gejubelt, weil man überall vertreten war. Doch schon bald reformierte Frankreich sein Wahlrecht, um die Zersplitterung der französischen Abgeordneten zu verhindern.
Für den Bundestag erkennt Karlsruhe das an.
Wir haben aufgrund der Erfahrungen der Weimarer Republik bewusst eine solche Hürde eingeführt, um solche Zersplitterungen zu vermeiden. Und diese Ideen der Verfassungsväter sollten für alle demokratisch legitimierten Institutionen gelten.
Vielleicht hinterfragt Karlsruhe bald umgekehrt auch die Fünf-Prozent-Hürde in Deutschland?
Dieselben Parteien werden nun zum Angriff darauf blasen – weil die Konstruktion, dass etwas in Berlin zulässig sein soll, in Straßburg und Brüssel aber nicht, fragwürdig ist. Dieses Urteil wird sich meiner Meinung nach deshalb noch als Boomerang erweisen. Der Demokratie ist ein Bärendienst erwiesen.
Was muss nun geschehen?
Wir müssen in Deutschland darüber diskutieren, wie wir in Zukunft eine Zersplitterung vermeiden. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten. Man könnte über eine stärkere Regionalisierung der Europawahl nachdenken. Oder in der nächsten Legislaturperiode wird ein europäisches Wahlrecht verabschiedet.