Pauschale Vorbehalte gegen den Islam wachsen in Deutschland – dahinter stehen diffuse Ängste und ein versteckter Rassismus. Doch Muslime und Juden leiden gleichermaßen unter Ressentiments. Eine Analyse.

Berlin - In dieser Woche hat Lamya Kaddor zum ersten Mal Anzeige erstattet – wegen Volksverhetzung und islamophober Beleidigung. Der Anlass war die Mail eines Radiohörers nach einem Interview, das die Islamwissenschaftlerin dem NDR gab. In dem Schreiben troff der Hass auf Muslime aus jedem Wort. Für den Mann, einen Arzt in leitender Stellung, sind alle Muslime Mörder, die „größten Rassisten aller Zeiten“, die alle Andersgläubigen jederzeit töten. Der gebildete Herr, der seine Schmähungen mit Namen unterzeichnete, verabschiedete sich mit freundlichen Grüßen.

 

Für die Wissenschaftlerin und Lehrerin Kaddor, die seit Jahren vermittelnd die Stimme erhebt, wenn es um Islamophobie geht, gehören solche Mails mittlerweile zum Alltag. Sie ist damit nicht allein. „Es gibt inzwischen keinen Muslim mehr, den ich persönlich kenne, der nicht schon Erfahrungen mit antimuslimischer Diskriminierung gemacht hat“, sagt sie.

In diesen Wochen ist es der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern, der sich in eine Diskriminierungskette verwandelt. Mit Schrecken sehen wir antisemitische Demonstrationen und als eine Folge davon antimuslimische Ressentiments, die sich mit der These rechtfertigen, Muslime seien genuin antisemitisch. Der Grund dafür liegt in der Gleichsetzung der Konfliktparteien mit Anhängern der jeweiligen Religion in der aktuellen Debatte – und auf der Straße.

Ein Sündenbock für die Gesellschaft

Darunter leiden sowohl Muslime als auch Juden. „Als Muslim steht man im aktuellen Konflikt in Gaza unter einem Generalverdacht“, sagt Lamya Kaddor. Sie sehe sich der allgemeinen Vermutung ausgesetzt, dass „ihr Muslime doch alle was gegen Juden habt“. Einen ähnlichen Mechanismus konstatiert Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats der Juden, der mangelnde Solidarität der Nichtjuden mit Juden beklagt. Als eine Erklärung dafür sieht er eine Gleichsetzung der Juden in Deutschland mit Israel und seiner Politik.

In der Spirale, die durch diese gleichsetzende Pauschalisierung in Gang gekommen ist, werden Muslime nun als Vertreter eines „neuen Antisemitismus“ in Deutschland wahrgenommen. Das ist eine sehr bequeme Analyse, weil sie einen Sündenbock kreiiert. Natürlich gibt es sie, die jungen Männer – Muslime –, die bei antiisraelischen Protesten unerträgliche Parolen von sich geben und sich dafür hoffentlich werden verantworten müssen. Verheerende Wirkung aber entfaltet auch jeder daraus gezogene verallgemeinernde Rückschluss.

Denn Verallgemeinerung ist das Denkmodell, das Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zugrunde liegt. In unterschiedlicher intellektueller Brillanz waren jüngst in der „FAZ“ und der „Bild am Sonntag“ Beispiele dafür zu finden. Die „FAZ“ konstatierte einen „judenfeindlichen Islam“, der hier in Deutschland das größte Integrationshindernis sei. Der Kommentator in „Bild am Sonntag“ schrieb: „Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.“ Immerhin: Der Herausgeber widersprach tags darauf .

Viele Muslime fühlen sich unter Generalverdacht

Viele Muslime fühlen sich erinnert an den Generalverdacht, den sie nach dem 11. September 2001 fühlten und der sich seither in unterschiedlicher Stärke erhält. Lamya Kaddor hat dafür den Begriff der Muslimisierung gefunden – plötzlich werde man nicht mehr als Person, sondern nur noch als   Moslem wahrgenommen, müsse Fragen beantworten wie die, warum „ihr Muslime alle Ungläubigen töten müsst“. Natürlich, sagt Kaddor, biete der Islam eine große Angriffsfläche – weil Terrorgruppen wie Boko Haram oder Isis in seinem Namen furchtbare Taten begehen. „Aber wir haben es nicht mit muslimischen Weltherrschaftsbestrebungen zu tun, sondern mit Terroristen, die hunderttausendfach Unschuldige töten. Die schlimmsten Terroranschläge werden von Muslimen gegen Muslime begangen.“

Islamfeindlichkeit sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sagt sie, spätestens seit 2011 Thilo Sarrazin seine verallgemeinernden, teils biologistischen Thesen verbreitete, seit populistische Parteien sich mit „Islamkritik“ Zulauf verschaffen.

Die im Juni veröffentlichte, regelmäßig erhobene bundesweite „Mitte-Studie“ der Uni Leipzig gibt ihr recht. Jeder dritte Deutsche findet, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. 42,7 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu: „Durch die vielen Muslime hier empfinde ich mich wie ein Fremder im eigenen Land.“ Wie offensichtlich irrational diese Haltung ist, zeigen schon die Zahlen. In Deutschland leben rund vier Millionen Muslime, also fünf Prozent der Bevölkerung, eine Minderheit, von der sich 36 Prozent als sehr gläubig definieren. Die geschilderte Überfremdungswahrnehmung könne nicht daher stammen, dass muslimische Religiosität das Straßenbild entscheidend präge, argumentiert die Islamwissenschaftlerin Sabine Damir-Geilsdorf in einem Beitrag für das Debattenmagazin „The European“. „Weder Millionen bärtiger Muslime noch Kopftuch oder gar Burka tragende Frauen bestimmen unsere Gesellschaft.“ Schon zwei Jahre zuvor sahen die Forscher Islamfeindschaft als „das neue Gewand des Rassismus“. Das Angstmodell der Islamhasser erinnert an das antisemitische Bild der Weltverschwörung: „Es wird so getan, als gebe es unter Muslimen die Bestrebung für eine muslimische Weltherrschaft.“ An die Stelle des biologistisch argumentierenden ist ein kulturalistischer Rassismus getreten, der Mechanismen entfaltet, wie man sie vom Antisemitismus her kennt.