Nur in Tücher gehüllt können Muslime bald auf dem muslimischen Gräberfeld in Herrenberg beerdigt werden. Möglich wird das durch den Wegfall der Sargpflicht in Baden-Württemberg.

Herrenberg - Viele türkische Einwanderer der ersten Generation haben eine ganz besondere Versicherung: sie garantiert ihnen, dass nach dem Tod ihr Leichnam in ihr Heimatland überführt und dort bestattet wird. Aus diesem Grund hat sich in Deutschland die Frage nach muslimischen Bestattungen lange nicht gestellt.

 

Doch viele Menschen mit türkischen Wurzeln, die heute in Herrenberg leben, sehen längst Deutschland als ihre Heimat. Hier wollen sie deshalb auch ihre letze Ruhestätte finden. Der Herrenberger Gemeinderat hat deshalb am Dienstagabend beschlossen, auf dem Waldfriedhof ein muslimisches Gräberfeld einzurichten. Es soll Platz für 24 Grabstellen bieten. Die Kosten dafür betragen 120 000 Euro. Der entsprechende Antrag war bereits Anfang 2012 von der SPD in den Gemeinderat eingebracht worden. Alle Fraktionen haben der Initiative zugestimmt.

Die Sargpflicht ist seit dem Frühjahr abgeschafft

Bei muslimischen Bestattungen sind einige Dinge zu beachten: so müssen die Gräber nach Osten in Richtung Mekka ausgerichtet sein. Außerdem werden die Toten traditionell nicht in einem Sarg, sondern nur in Tücher gehüllt bestattet. In Baden-Württemberg herrschte allerdings bis vor Kurzem eine Sargpflicht. Erst im März hat der Stuttgarter Landtag das Bestattungsgesetz geändert und die Beisetzung Toter ermöglicht, die nur in Tücher gehüllt sind.

Auch in einem anderen Punkt ist der Landtag den islamischen Gemeinden entgegengekommen: während gläubige Muslime – genauso wie gläubige Juden – Tote innerhalb von 24 Stunden bestatten wollen, sah das Gesetz bislang eine 48-stündige Frist zwischen Tod und Beisetzung vor. Die Regelung sollte verhindern, dass ein Scheintoter beerdigt wird. Mit einer ärztlichen Bescheinigung ist eine Beerdigung inzwischen auch früher möglich.

Herrenberg erwartet steigenden Bedarf

Im Landkreis Böblingen gibt es bereits mehrere muslimische Gräberfelder. Vorreiter war Sindelfingen, wo viele türkischstämmige Menschen leben. Auf dem Burghaldenfriedhof gibt es bereits seit dem Jahr 1994 ein Gräberfeld mit etwa 150 Grabstellen. Knapp 40 von ihnen sind bislang belegt. In dem muslimischen Bereich auf dem Böblinger Waldfriedhof sind bislang zehn Menschen bestattet worden. Auch Leonberg und Waldenbuch haben spezielle Stellen auf ihren Friedhöfen ausgewiesen.

„Heute leben bei uns viele Einwanderer der zweiten und dritten Generation“, sagt Rainer Stingel, der Leiter des Bestattungswesens in Herrenberg. „Der Bedarf an muslimischen Grabstätten wird in den nächsten Jahren deshalb steigen.“

Angehörige tragen den Sarg zum offenen Grab

Die Friedhofsverwaltung in Sindelfingen hat bislang wohl am meisten Erfahrungen mit muslimischen Bestattungen gemacht. Vor Kurzem wurde der erste Tote ohne Sarg bestattet, berichtet Rico Grulke, Mitarbeiter der Sindelfinger Friedhofsverwaltung. „Der Leichnam muss in einem geschlossenen Sarg bis zum Grab transportiert werden“, erklärt Grulke. Auf den letzten Metern würden häufig Angehörige den Sarg vom Bestattungswagen nehmen und auf ihren Schultern zum Grab tragen. „Dann wird der in Tücher gehüllte Körper aus dem Sarg genommen, auf ein Brett gelegt und mit einer speziellen Vorrichtung ins Grab hinuntergelassen“, beschreibt Grulke die Zeremonie. Dort wird der Leichnam auf seine rechte Seite gelegt, bevor das Grab verschlossen wird.

Auf traditionellen islamischen Friedhöfen sind Grabschmuck und -pflege nicht üblich. Auf manchen Friedhöfen führt das zu Missstimmung zwischen muslimisch und christlich geprägten Friedhofsnutzern. Die kunstvollen islamischen Grabmale auf dem Sindelfinger Friedhof zeugen dagegen von einer Verschmelzung der unterschiedlichen Bestattungstraditionen.

Auf vielen muslimischen Gräberfeldern ist der Anteil an Kindergräbern hoch. Das liegt vermutlich daran, dass Eltern die Ruhestätte ihres verstorbenen Kindes in ihrer Nähe wissen wollen und es nicht in ihr Herkunftsland überführen lassen.

Wo es muslimische Grabfelder in der Region Stuttgart gibt

Wo gläubige Muslime sich bestatten lassen können

In vielen Kommunen der Region Stuttgart gibt es bereits islamische Gräberfelder, in anderen wird über ihre Einrichtung diskutiert. Auf dem Stuttgarter Hauptfriedhof in Bad Cannstatt können sich Muslime seit 1986 bestatten lassen. Auch in Kornwestheim (Kreis Ludwigsburg), Ludwigsburg, Waiblingen und Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) gibt es entsprechende Areale. In Esslingen existiert auf dem Friedhof Sulzgries sogar schon seit dem Jahr 1967 ein muslimisches Gräberfeld.