Das Kultusministerium fordert von der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRG) Baden die Bereinigung der Mitgliederzahl. Das empfinden viele in der IRG als unzulässigen Eingriff in jüdische Belange.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Baden-Baden - Innerhalb der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden herrscht erhebliche Unruhe. Grund ist eine Aufforderung des Kultusministeriums, eine korrigierte Mitgliederzahl zu nennen. Es hätten sich „Hinweise“ ergeben, sagte ein Sprecher des Ministerium auf Anfrage, „dass Personen mitgezählt wurden, die nach dem jüdischen Religionsgesetz nicht jüdisch sind.“ Die jährlichen Zuweisungen des Landes an die israelitischen Glaubensgemeinschaften bemessen sich an der Mitgliederzahl. Bisher ging das Land von 5090 Mitgliedern in den zehn Gemeinden aus. Eine Frist zur Bereinigung der Liste bis 31. Oktober hat die IRG verstreichen lassen; sie wurde daraufhin bis zum 31. Dezember verlängert.

 

Ob die IRG sich bis dahin vollständig erklären wird, ist allerdings offen. „Wir haben keinen Streit mit dem Kultusministerium diesbezüglich“, sagt der IRG-Vorsitzende Rami Suliman. Er fügt aber auch hinzu: „Wer Jude ist und wer nicht, ist unsere Sache“. Er werde innerhalb der Mitgliederschaft keine „Selektion“ vornehmen.

Geld für die Friedhofssanierung wurde nie verbaut

Das Ansinnen des Ministeriums, das innerhalb der IRG als „Judenzählung“ verstanden wird, geht auf auf eine mehrmonatige Krisenzeit zurück, in der eine vom Kultusministerium eingesetzte Verwalterkommission die Geschäfte führte. Anlass war ein Paukenschlag in der jüdischen Gemeinde Baden-Baden im vergangenen Jahr. Geld, das zur Sanierung des israelitischen Friedhofs von der IRG-Geschäftsstelle in Karlsruhe überwiesen worden war – insgesamt 80 000 Euro –, ist nie verbaut worden. Dafür hatte sich der Gemeindevorstand zwei Autos der Marke Mercedes GLK angeschafft. Dazu kam ein Erbschaftsstreit um eine kostbare Porzellansammlung des Juden Ernst Gallinek, die sich aktuell in Verwahrung des Badischen Landesmuseums befindet. Die Staatsanwaltschaft Baden-Baden ermittelt immer noch wegen des Verdachts der Untreue „gegen zwei Personen aus dem Führungskreis der IRG Baden“, wie ein Justizsprecher bestätigte.

Die Landesregierung hat eingegriffen

Innerhalb der IRG Baden kam es ab 2013 zu Personalumwälzungen. Die Leitung der Baden-Badener Gemeinde wurde abgesetzt. Vorsitzender des Oberrats der IRG Baden wurde der Pforzheimer Rami Suliman. Die überwiegend ehrenamtlich besetzte Dachorganisation sah sich mit der Lage überfordert. Im Juni 2013 bat Suliman die Landesregierung schriftlich um Hilfe. Durch Steuerung des Kultusministeriums wurde eine Übergangsverwaltung unter Leitung von Günter Hertweck, Generalstaatsanwalt im Ruhestand, eingesetzt. Er hielt engen Kontakt zu Barbara Lichtenthäler, Ministerialdirigentin im Kultusministerium.

Der IRG-Geschäftsführer und sein Vater wurden entlassen

Seit April ist die Übergangsverwaltung offiziell beendet. Bis dahin hatten Hertweck und Co hart durchgegriffen. Unter anderem wurde der Meersburger IRG-Geschäftsführer Michael Dörr entlassen, ebenso dessen Vater Paul Dörr, der von 1993 an ebenfalls 15 Jahre IRG-Geschäftsführer gewesen war und danach einen Beratervertrag besaß. Die Dörrs begriffen die Kommission aus Stuttgart als „Zwangsverwaltung“, die sich verfassungswidrig in tiefste Belange der badischen Juden einmischte – und äußerten das auch.

Die Prüfer um Günter Hertweck stießen bald auch auf die Mitgliederliste und wurden stutzig ob der vielen Namen. Laut der Satzung der IRG bestimmt das jüdische Religionsgesetz, die Halacha, wer jüdisch ist. Das sind alle Personen, die eine jüdische Mutter haben oder solche, die zum Judentum konvertiert und den Prüfungen durch eine der Rabbinerkonferenzen stand gehalten haben.

Der IRG-Vorstand bestreitet nicht, dass wohl schon seit den 90er-Jahren gegen die Satzung verstoßen worden sein könnte. Als Grund wird der Zustrom neuer Gemeindemitglieder seit Anfang der 90er-Jahre aus den GUS-Staaten genannt. Vor dem Fall des eisernen Vorhangs hätten die badischen Gemeinden rund 1200 Mitglieder gehabt. Danach sei die Zahl schnell auf mehr als 5000 gestiegen, sagt Rami Suliman. „Wir haben nicht die Möglichkeit gehabt, alle zu kontrollieren.“ Sulimans Stellvertreter Torsten Rottberger, Vorsitzender der israelitischen Gemeinde Emmendingen, sieht ein Dilemma. „Es haben nicht mal alle Gemeinden bei uns Rabbiner. Wie soll man das jetzt prüfen?“ Bisher habe man ganz selbstverständlich alle Gemeindemitglieder betreut, auch solche aus Mischehen und deren Kinder. Man werde daran auch nichts ändern. Ein Vorschlag des Vorstandes lautet, als Zählbasis künftig alle Kirchensteuerzahler heranzuziehen, die über die Einwohnermeldeämter als „ib“ (israelitisch badisch) registriert sind.

Pro Mitglied bezieht die IRG 750 Euro jährlich

Staatsvertrag mit Dynamisierung

Die IRG Baden hat die Rechtsform einer öffentlichen Körperschaft. Als solche bezog sie, gemäß dem noch unter Günter Oettinger ausgehandelten Staatsvertrag mit dem Land Baden-Württemberg aus dem Jahr 2010, zunächst pro Mitglied 750 Euro jährlich. Mittlerweile ist der Betrag gestiegen, weil der Staatsvertrag eine Dynamisierung um jährlich 1,5 Prozent bis ins Jahr 2015 vorsah. Wurden 2010 noch gut 3,8 Millionen Euro nach Karlsruhe überwiesen, werden es im nächsten Jahr 4,1 Millionen sein.

Es sei nie „mit Konsequenzen gedroht worden“, falls die Mitgliederlisten nicht neu aufgestellt würden, lässt das Kultusministerium wissen. Es gehe nur darum, „dass die jeweilige Körperschaft ordnungsgemäß ihre Geschäfte führt.“ Auch der IRG-Funktionär Torsten Rottberger betont die guten Gespräche mit dem Land. „Ich bin froh, dass mal jemand bei uns drüber geschaut hat“, sagt er. Protokolle aus der Zeit der Übergangsverwaltung sprechen allerdings eine andere Sprache. So hielt der aktuelle IRG-Geschäftsführer Thorsten Orgonas schriftlich den Inhalt einer Vorstandssitzung des IRG-Oberrates vom 10. Februar 2014 fest. Beschrieben ist eine Drohung der Ministeriellen Barbara Lichtenthäler gegenüber den Oberräten: „. . . Sie fuhr fort, für das Land stehe in Frage, ob der Staatsvertrag Bestand haben könne. Die Aberkennung oder das zeitweise Ruhen der Körperschaftsrechte der IRG Baden sei möglich.“ Und dann: „Des weiteren dürfe das alte Personal nach dem Ende der Verwaltung nicht zurückgeholt werden, sonst werde das Land die Veruntreuung von Landesgeldern anzeigen und die Ehrenamtsträger in die Verantwortung nehmen.“

Der Geschäftsführer hat gegen seine Entlassung geklagt

Gemeint waren auch Paul und Michael Dörr. Mittlerweile haben sie Unterstützer aus der IRG-Führungsriege. So haben sich Paul Dörr und die Freiburger Oberrätin Uschi Amitai Anfang Oktober in einem Brief an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann über die „zwangsausübenden Eingriffe“ in die Belange der IRG und die verlangte „Judenzählung“ beschwert. Eine Antwort steht aus. Der Ex-Geschäftsführer Michael Dörr hat vor einem Arbeitsgericht erfolgreich gegen seine Entlassung geklagt. Die Konflikte könnten sich bald zuspitzen. Auch Rami Suliman will einige Fesseln wieder abwerfen, die von der Übergangskommission angelegt wurden. Er sagt: „Ich vertraue Michael Dörr. “ Der Ex-Geschäftsführer solle, vorbehaltlich der Zustimmung der Gremien innerhalb der IRG Baden, künftig Vorstandsassistent werden.