Italiens größter Hafen wird mit Milliarden aus dem Europäischen Wiederaufbauprogramm ausgebaut. Neue Verkehrsverbindungen führen in Richtung Baden-Württemberg.

Genua hat in den letzten 40 Jahren etwa 300 000 Einwohner verloren. Nach Jahrzehnten des Niedergangs träumt man in der Hafenstadt nun von einer glänzenden Zukunft. Rund um das Messegelände am Meer sind riesige Kräne und schwere Maschinen im Einsatz. Bis Ende 2024 soll in der Hafenstadt ein neues Viertel aus dem Boden wachsen: Die Waterfront di Levante mit kleinen Kanälen, großzügigen Grünanlagen, Luxuswohnungen, Sportstätten, Co-Working-Spaces, Ankerplätzen für Jachten und Geschäften.

 

500 Millionen Euro kostet das neue Viertel. Ein Teil stammt aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm über 750 Milliarden Euro. Italien erhält als größter Nutznießer 191,5 Milliarden Euro. Mehr als zehn Milliarden Euro davon sollen nach Genua fließen. Zusammen mit nationalen, regionalen und lokalen Geldern will die Hafenstadt in den nächsten fünf bis sechs Jahren 20 Milliarden Euro investieren: In einen Tunnel, der den Hafen unterquert, in eine Bahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke, die ab Ende 2025 die Fahrtzeit nach Mailand von hundert Minuten auf unter eine Stunde reduziert. Eine Stadt-Seilbahn soll gebaut werden. Auch eine Autobahnumgehung (Gronda) ist geplant. Anfang Mai haben die Bauarbeiten für einen mehr als sechs Kilometer langen und 1,35 Milliarden Euro teuren neuen Damm 800 Meter weit draußen im Meer begonnen. Damit sollen ab Ende 2026 Riesen-Schiffe mit über 18 Millionen 20-Fuß-Standardcontainer (TEU) die Docks anlaufen können. Insgesamt fließen in den Ausbau des Hafens drei Milliarden Euro.

Neue Verbindungen nach Stuttgart

Mit den neuen, leistungsfähigen Straßen- und Bahnverbindungen Richtung Schweiz, Deutschland und die Niederlande will Genua künftig Antwerpen, Rotterdam und Hamburg Konkurrenz machen. „Wir sind der zentrale Mittelmeerhafen für Zentral- und Nordeuropa“, sagt Bürgermeister Marco Bucci. Transport- und Logistikunternehmen wie Hapag Lloyd, Msc und Maersk bauen ihre Kapazitäten in Genua aus. Seit Mai gibt es zweimal wöchentlich eine Eisenbahndirektverbindung für den Warenverkehr zwischen dem Terminal des Logistikkonzerns PSA in Genua-Pra und Stuttgart.

Die Hoffnungen sind groß, auch im Hinblick auf den Tourismus. „Wir wollen den Genuesern den Platz am Meer zurückgeben“, sagt Vize-Bürgermeister Pietro Piciocchi. Der Zugang zum Meer war den heute 570 000 Bewohnern der einst mächtigen Seerepublik, die die Südamerika-Exkursionen ihres Sohnes Christoph Kolumbus für das spanische Königshaus finanzierte, über Jahrzehnte versperrt. Renzo Piano, ein anderer großer Genueser und weltbekannter Architekt, öffnete den Hafen 1992. Nun, 30 Jahre später, soll mit der Waterfront di Levante der Rest seines großen Projekts Wirklichkeit werden. Europa sei Dank!

Piciocchi träumt davon, dass Genua ein neues Barcelona wird, „nur noch schöner, denn wir haben Renzo Piano. Und wir haben eine herrliche Küste, das Klima ist mild, es gibt eine große Universität und viele Unternehmen. Genua kann zum größten Hafen Europas werden“, sagt Piciocchi.

„Es braucht ein wenig Mut“

Das Problem ist der begrenzte Platz. Industrie, der sich über viele Kilometer hinziehende Hafen, Handel und Tourismus konkurrieren um den schmalen Landstreifen zwischen Meer und steilen Bergen. Schwerindustrie, Schiffsbau und ein großes Stahlwerk nehmen viel Platz in Anspruch. Das Genua der Zukunft setzt auf neue Technik, Robotik und Künstliche Intelligenz, Projekte, die teilweise im Forschungsinstitut Istituto Italiano di Tecnologia (IIT) entstanden sind.

Auch die Amico & Co Srl am Rande der new Waterfront ist ein Vorzeigebeispiel. Amico ist einer der weltweit größten Spezialisten für das „Refitting“ von Luxusjachten mit bis zu 120 Metern Länge. „Der Weltmarkt für Luxusjachten explodiert geradezu“, sagt Chairman Alberto Amico. Die Riesenboote müssen regelmäßig überholt werden. 50 Millionen Euro hat Amico investiert, um die Kapazitäten dafür zu verdreifachen. Einen Steinwurf entfernt findet jedes Jahr im September der salone nautico statt, einer der größten Messen für Jachten weltweit.

Piciocchi ist optimistisch, dass Platz für alle ist. „Es braucht ein wenig Mut und guten Willen aller.“ Er verweist auf den Wiederaufbau der 2018 eingestürzten Autobahnbrücke in Genua, der so schnell ging, dass die ganze Welt staunte. Italien spricht seither vom „Modell Genua“: Italien kann es – wenn Bürokratie und lähmende Verwaltungsprozesse umgangen werden.

Doch der jahrzehntelange Investitionsstau des Landes lässt sich auch in Genua studieren. Die Autobahn nach Mailand wurde unter Diktator Benito Mussolini gebaut, die Bahnstrecke nach Mailand im 19. Jahrhundert. Die Gelder aus Europa sollen Genua und Italien einen Modernisierungsschub geben. Doch die Zweifel wachsen, dass das gelingt. Brüssel droht, die nächste Hilfstranche des europäischen Aufbauprogramms über 19 Milliarden Euro nicht auszuzahlen. Italien und Genua könnten eine Jahrhundertchance verspielen.