Demokratie heißt auch Kompromiss. Das ist eine politische Binsenweisheit, doch die Jamaika-Unterhändler in Berlin müssen sie noch verinnerlichen, kommentiert der StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Wohlfeile Sprachbilder haben sich als untauglich erwiesen. In den vergangenen drei Wochen war die deutsche Politik weder von der Beschwingtheit des Reggae geprägt noch herrschte eine paradiesische Atmosphäre wie in der Karibik. Eine Koalition in den Farben von Jamaika zu bilden erweist sich als mühselig. Alexander Dobrindt und Jürgen Trittin klingen noch lange nicht so entkrampft wie die Songs von Bob Marley. Inzwischen erproben Grüne, Liberale und neuerdings auch die CSU in den Sondierungsgesprächen aber eine Art Entspannungspolitik. Noch gibt es allerdings keine Garantie, dass hier tatsächlich zusammenfindet, was an vielen Enden schwer zusammenpasst. Da kann die Kanzlerin noch so oft wiederholen: Ich will das. Machtworte waren noch nie ihre Stärke.

 

Beschwörende Formeln, demonstrative Gehässigkeiten und die jüngsten Lockerungsübungen – sie dienen allesamt der Inszenierung solcher Verhandlungen. Diese folgen einer eigenen Dramaturgie. Zur letztgenannten Kategorie zählt das Entgegenkommen der Grünen in der Klimapolitik. Ins Drehbuch passt auch das zeitweise penetrante Gerede über Neuwahlen aufseiten der liberalen Unterhändler. Eine vernünftige Option ist das keineswegs.

Koalitionen sind behelfsmäßige Vehikel

Ein gemeinsames Regierungsprogramm auszutüfteln bedeutet nicht, ein Traumschiff zu bauen. Koalitionen sind behelfsmäßige Vehikel der Macht, die so konstruiert sein sollten, dass sie das Wählervotum als Rückenwind nutzen und möglichst vier Jahre lang halten. In selteneren Fällen kommen sie wie getunte Staatskarossen daher, häufiger dienen sie nur notdürftig dem Fortkommen.

Über den Verhandlungstischen der Sondierer schweben gleich mehrere Damoklesschwerter – jene Instrumente aus der antiken Sagenwelt, die wie Fallbeile wirken. Da ist etwa die Ungeduld des Wahlvolks. Das Verständnis für ein wochenlanges Abtasten, bei dem am Ende nichts herauskäme, wäre äußerst begrenzt. Wenn es Angela Merkel nicht gelingen sollte, nach diesem Vorlauf eine Regierung zu bilden, wäre zudem ihre Autorität endgültig ramponiert. Die Zeit ihres bayerischen Kompagnons Horst Seehofer läuft ohnehin ab. Sollte Jamaika sich als Luftnummer erweisen, entstünde schließlich der Eindruck, auch Deutschland, in den vergangenen Jahren Hort der Stabilität und wirtschaftlicher Motor Europas, könnte vom Virus der Unregierbarkeit angekränkelt sein. Wer wollte das verantworten?

Neuwahlen in Erwägung zu ziehen wäre fahrlässig

Von Neuwahlen zu schwadronieren, mag taktisch einleuchten. Mit Rücksicht auf die Staatsräson wäre es aber fahrlässig, ein solches Experiment ernsthaft in Erwägung zu ziehen – zumal die Verfassung dafür einen komplizierten Fahrplan vorsieht. Es spräche auch wenig für die eigene Regierungstauglichkeit, insgeheim darauf zu hoffen, dass der sozialdemokratische Bundespräsident im Falle des Scheiterns von Jamaika unter Umständen die desolate SPD überzeugen könnte, sich noch einmal der Verantwortung zu beugen.

Die Koalitionäre in spe sind zum Erfolg verdammt. Die Fragen, mit denen sie sich schwertun, sind Fragen, die auch die Gesellschaft entzweien: Klimapolitik, Leitplanken für den Verkehr, digitale Infrastruktur, Einwanderung und Integration. Da kann sich keiner wegducken. Entscheidungen sind unausweichlich, Kompromisse notwendig, ob sie in den Farben von Jamaika lackiert sind oder nicht. Kompromisse haben ihren Preis. Das gilt aber auch für den Fall des Versagens bei den Herausforderungen. Es geht hier nur ganz nebenbei um die Zukunft des FDP-Heroen Lindner, um das Schicksal des grünen Führungsduos und um Seehofers Nachruhm. Von der Unfähigkeit, sich in dieser Runde zu verständigen, könnten nur jene profitieren, die den demokratischen Staat ohnehin für ein Schmierentheater halten.