Endlich ist er da, wo er immer hin wollte: Jan Böhmermann kommt mit seinem „Neo Magazin Royale“ ins ZDF – und alle spielen verrrückt.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Retter, Hoffnungsträger, Erneuerer – nahezu kein Zeitungsartikel über ihn, in dem diese Vokabeln nicht auftauchen. Jan Böhmermann, 33 Jahre alt, Moderator der Late Night Show „Neo Magazin“, die donnerstagabends um 22.15 Uhr auf ZDF Neo läuft. Böhmermann wird von vielen, die von Berufs wegen am öffentlich-rechtlichen Fernsehen herummäkeln, als Heilsbringer erachtet. Gerade in diesen Tagen ist gehäuft von dem nicht mehr blutjungen Mann die Rede, der seinem TV-Publikum im dunklen Anzug und mit lichtem Bart im schmalen Gesicht gegenüber tritt und es dreißig Minuten lang mit einer Ironie-Schnellfeuerwaffe in Schach hält. Dabei ist der Anlass im Grunde eine Petitesse: Das ZDF wiederholt Böhmermanns Show, die fortan „Neo Magazin Royale“ heißt, von dieser Woche an immer freitags um 24 Uhr.

 

Die Medien behandeln die Programmneuerung fast so prominent wie die Absetzung von „Wetten, dass . . ?“: Das „Zeit Magazin“ fragte den Grimme-Preisträger jüngst gar auf dem Titel: „Was haben Sie mit dem deutschen Fernsehen vor, Herr Böhmermann?“. Steht womöglich eine Zeitenwende im Rundfunkbeitrags-TV an?

Wie meist steckt mehr Wunsch als Wirklichkeit hinter der Aufregung. Schließlich macht ein Jan Böhmermann, so provokant er auch sein mag, einmal in der Woche am sogenannten Programmrand aus der alten Tante ZDF noch keinen Punk. Dass er es aber nach nur gut einem Jahr vom Nischenkanal ins Hauptprogramm schafft, will dennoch etwas heißen. Joko und Klaas, ebenfalls einst als junge Hoffnungsträger bei ZDF Neo in Diensten, sind inzwischen am Samstagabend bei Pro Sieben erfolgreich. Bei dem nach Verjüngung strebenden Mainzer Sender scheint man aus vergangenen Fehlern gelernt zu haben. Jetzt wird der Programmchef Norbert Himmler mit dem Satz zitiert, er sehe bei Böhmermann „großes Potenzial“. Noch ist unklar, ob das ZDF-Publikum, das einen Altersdurchschnitt von 61 Jahren aufweist, das auch so sehen wird. Doch selbst wenn nicht: auf diesem Sendeplatz kann man im Grunde nichts falsch machen.

Eine halbe Stunde kluges Witz-Fernsehen

Der gebürtige Bremer jedenfalls darf seine Anstrengungen, zeitgemäßes öffentlich-rechtliches Fernsehen für junge Menschen zu machen, belohnt sehen: Endlich ist er da, wo er immer hin wollte. Aber nerven ihn die überzogenen Erwartungshaltungen nicht? „Es wäre nervig, wenn ich selbst dran glauben würde“, sagt er. „Ich bin kein Retter, ich bin ein Quatschkasper“.

Eine treffende Beschreibung. Sein „Neo Magazin“ ist eine halbe Stunde kluges Witz-Fernsehen. Böhmermann zieht darin übers Zeitgeschehen her, macht viele Gags um des Gags willen, aber manchmal steckt auch Haltung und gründliche Recherche dahinter. Die Pegida-Anhänger bezeichnet er als Vollidioten, Helene Fischer als singende Sagrotanflasche, und Campinos „Band Aid“-Projekt zur Bekämpfung von Ebola entlarvt er als heuchlerische PR-Strategie zugunsten der beteiligten Musiker.

Als Sidekick und Ansager springt ihm der Pulloverträger William Cohn zur Seite, der schon bei der Anti-Talkshow „Roche & Böhmermann“ mitwirkte; bei den Einspielfilmen gibt es wiederkehrende Rubriken: So fabrizieren die „Bastel-Brothers“ Nonsens-Basteleien; bei „Prism is a dancer“ kommentiert Böhmermann hämisch-genussvoll die Facebook- und Twitter-Einträge eines Studiozuschauers, die vorab recherchiert wurden. Sowieso: das Spiel mit den sozialen Netzwerken ist Pflicht. In der Rubrik „Neo Magazin Royale Marktforschung“ erforscht Böhmermann anhand einer vermeintlich repräsentativ ausgewählten Gruppe an ZDF-Zuschauern im Seniorenalter die Humorgrenzen des Hauptprogramm-Publikums.

Böhmermanns Maxime: langweile nie dein Publikum!

Die permanente Selbstreflexion ist fester Bestandteil seiner zwischen kindischem Witz und ätzender Beleidigung hin und her wankenden Satire; gekonnt spielt er mit den erstarrten Ritualen des Fernsehens. Böhmermann ist einer, der nichts und niemanden ernst nimmt, schon gar nicht seine Bühnenfigur. Nur eine Maxime ist ihm heilig: langweile nie dein Publikum! Mit seinem Anarchie-Fernsehen hat er sich eine feste Fangemeinde erarbeitet – und maßgeblich zum Ruf des Senders ZDF Neo als „Innovationslokomotive“ des Zweiten beigetragen.

„Musikalischer, schärfer, lustiger“ werde die nunmehr mit dem krönenden Adjektiv versehene Sendung, heißt es in der Presseankündigung; Böhmermann selbst sagt, für ihn gehe es weiter wie bisher, allerdings unter deutlich verbesserten Arbeitsbedingungen. Die Sendung wird jetzt nicht mehr neben einer Teppichreinigung in einem Hinterhof in Köln-Ehrenfeld produziert, sondern in einem veritablen, deutlich größeren Studio. Mit dem Rapper Dendemann – für ihn „der beste Hip-Hopper Deutschlands“ – kommt eine Liveband und eine „ganz neue Energie“ hinzu. Er selbst habe endlich ein eigenes Büro, „in dem ich mal in Ruhe nachdenken kann“. Die alten Schulstühle seien durch gepolsterte Ikea-Modelle ersetzt worden, der neue Schnittraum müsse nicht gleichzeitig als Kantine herhalten, und die Selbstausbeutung für sein personell aufgestocktes Team überschreite in Zukunft nicht mehr das beim Fernsehen sonst übliche Maß.

„Das fühlt sich zum ersten Mal wie richtiges Fernsehen an“, freut sich der Moderator. Wohin ihn seine Leidenschaft für dieses Medium noch führen wird, steht in den Sternen. Fantasieren aber ist erlaubt: Die Sendung könnte doch zwei-, dreimal pro Woche im Spätprogramm laufen, schlägt Böhmermann vor. „Die aufgeputschten Rentner von Markus Lanz übernehme ich gern.“