Hans-Werner Carlhoff besitzt kein Schild und keine Rüstung. Sls Insignien seiner Würde trägt er ein Ornat und das achtspitzige Kreuz am Seidenband. Der 65-Jährige ist Ritter der Johanniter.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Stuttgart - Der Ritter aus Stuttgart-Birkach sitzt ganz vorne im Festsaal. Bis Hans-Werner Carlhoff selbst an der Reihe ist und ans Mikrofon tritt, hört er konzentriert zu. Er will erfahren, was bei den Johannitern im zurückliegenden Jahr gelaufen ist. Die einen wählen kurze Grußworte, andere berichten sehr ausführlich. Die Rednerliste ist lang. Bis alles gesagt ist und man zum nächsten Tagesordnungspunkt „gemeinsames Mittagessen“ übergehen kann, verstreichen gut drei Stunden.

 

Im Kloster Schöntal an der Jagst haben sich 150 Männer zum jährlichen Rittertag des Johanniterordens Baden-Württemberg eingefunden. Vorher haben sie sich am Eingang zum Festsaal Namensschildchen ans Sakko gesteckt. Über den Stuhlreihen liegt eine distanzierte Vertrautheit, wie bei einer Zusammenkunft entfernter Verwandter. Man kennt sich schon Ewigkeiten, aber es braucht doch seine Zeit, um warm miteinander zu werden.

Die Herbstsonne taucht das Kloster in gleißendes Vormittagslicht. Die malerische Zisterzienserabtei aus dem 12. Jahrhundert mit ihrer kunstvollen Barockkirche ist ideale Kulisse für einen Rittertag. Keine zehn Autominuten entfernt liegt Jagsthausen. Das 1500-Seelen-Dorf, in dem es heute nicht einmal mehr eine Bäckerei gibt, war im Mittelalter Stammsitz des Götz von Berlichingen. Er ist im Kreuzgang des Klosters Schöntal begraben und war auch ein Ritter. Allerdings hatte er vor allem seine eigenen Interessen im Sinn. Die ehrenamtlichen Ritter des Johanniterordens haben sich hingegen der Barmherzigkeit verschrieben. Sie wollen helfen, die Welt ein bisschen besser zu machen. Ein hehres Ziel.

Es war an einem Sommertag 2002, als Hans-Werner Carlhoff zu einem Ritter wurde: „Im Blick auf die Gnade Gottes will ich mich im persönlichen und beruflichen Leben so verhalten, wie es einem Johanniter gebührt durch Ritterlichkeit gegenüber den Frauen aller Stände, Achtung vor der Heiligkeit der Ehe, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit.“ Dieser Satz gehört zum Gelübde, das Carlhoff ablegte, als er in der Komturkirche in Nieder-Weisel bei Frankfurt am Main zum Rechtsritter geschlagen wurde. Das Zeremonienschwert führte Wilhelm-Karl Prinz von Preußen, der inzwischen verstorbene Enkel Kaiser Wilhelms II. Er war damals Herrenmeister der Johanniter – der Oberste im Orden.

Mehr als Essen auf Rädern

Wer Johanniter hört, denkt wahrscheinlich zuerst an Essen auf Rädern, an Altenheime, Rettungsdienst, Hausnotruf und Spendenbüchsen. Doch dahinter steht mehr. All diese Hilfsgemeinschaften werden getragen vom ältesten geistlichen Ritterorden mit einer fast tausendjährigen Geschichte. Eine Historie, die nicht nur wohltätig, sondern auch blutrünstig war.

Die Johanniter gründen sich im Jahr 1099 in Jerusalem. Als die ägyptischen Mamluken das Heilige Land erobern, müssen sich die Johanniter, damals Kreuzritter, einen neuen Hauptsitz suchen. Sie finden diesen zunächst in Zypern. 20 Jahre später zwingt man sie, nach Rhodos umzusiedeln, 200 Jahre darauf werden sie auf die Insel Malta weitervertrieben.

Auf seiner Flucht geht der Orden nicht zimperlich vor, die Kämpfe ums Territorium sind grausam. Als Napoleon Bonaparte 1798 Malta erobert, ist das eine Zäsur für die Johanniter. Sie verlieren endgültig ihren Ritterstaat. Erst anno 1852 belebt König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen den Orden wieder – als karitative Organisation.

Hans-Werner Carlhoff hat weder eine Rüstung noch ein Schwert. Die braucht er nicht, er hat sich der Wohltat an seinen Mitmenschen verpflichtet. Seine Insignien sind ein schwarzer Rittermantel und das achtspitzige Kreuz mit den goldenen Adlern am seidenen Band. Seine Ehrfrucht vor der Würde des Amtes gebietet, beides nur zu tragen, wenn es der Anlass verlangt. In jedem Fall beim jährlichen Rittertag.

Der Ordensmantel ist nur für den Festgottesdienst am Sonntag reserviert, wenn die Johanniterbrüder in die Barockkirche einziehen. Für die Ritterversammlung genügt der Straßenanzug, verrät ein Hinweis in der Einladung. Die Veranstaltung dauert ein ganzes Wochenende, sie ist eine Mischung aus Jahreshauptversammlung und großem Wiedersehen.

Ritter sind männlich

Das Herzstück des Treffens ist die Ritterversammlung. Beim ersten Teil sind Damen und Gäste willkommen. Beim zweiten Teil am Nachmittag bleiben die Ritter und Anwärter indessen streng unter sich. „Das klingt spannender und geheimnisvoller, als es in Wirklichkeit ist“, sagt Hans-Werner Carlhoff. Es gehe um Verwaltungssachen, Jahresberichte, Wahlen, Kassenstände. Die baden-württembergische Kommende als eine Sektion des Johanniterordens sei letztlich „eine Art Landesverband“, sagt er. Doch kaum vorstellbar, dass etwa bei der Landesversammlung des Deutschen Roten Kreuzes eine ähnlich feierliche und bedeutungsschwere Stimmung herrscht.

Der Orden ist evangelisch, aber in der Geschlechterfrage konservativ. Ritter werden nur Männer. Die meisten stammen aus Adelshäusern. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich das Selbstverständnis des Ordens, weg vom Standesdünkel hin zu der kirchlichen Gemeinschaftsidee. Seitdem dürfen auch Bürgerliche wie Carlhoff den Ritterschlag empfangen. „Man kann sich nicht darum bewerben“, sagt er. „Es gibt sehr verdienstvolle Menschen im Orden, die werden nie Rechtsritter.“ Er selbst, so Carlhoff, habe zur richtigen Zeit die richtigen Leute getroffen.

Nach dem Studium der Pädagogik, Politik, Volkswirtschaft sowie der Staats- und Verwaltungswissenschaft macht er sich schon in jungen Jahren einen Namen. Als Geschäftsführer der Landesarbeitsstelle Aktion Jugendschutz Baden-Württemberg füllt er mit seinen Fachtagungen Veranstaltungssäle im ganzen Land. Bei einem solchen Anlass nimmt ihn Mitte der achtziger Jahre ein Mann zur Seite und bittet ihn, einen Vortrag für die Johanniter zu halten. In einem Nebensatz bemerkt Carlhoff damals, dass ihm der Orden nicht fremd sei. Seine eigenen Vorfahren gehörten schon zu den Johannitern, der Onkel seiner Frau Reingard war auch ein Ritter.

Er fühlt sich auch der Familienehre verpflichtet

Hans-Werner Carlhoff kam in Lübeck auf die Welt. Seine Wurzeln liegen in Polen, die Großeltern waren bedeutende Papierfabrikanten aus der Gegend von Lodz, wo sich seine Eltern kennenlernten. Carlhoff hat etwas übrig für Historie und kann um einiges weiter zurückgehen in seiner Ahnengalerie. Er erzählt zum Beispiel, dass sich der erste Carlhoff Mitte des 17. Jahrhunderts als Kaufmann im Baltikum niederließ. Er berichtet, dass am Sarkophag von eben jenem Carlhoff genau das Familienwappen prangte, das sich heute in seinem Wohnzimmer in Stuttgart-Birkach befindet. Es zeigt drei Kleeblätter und eine goldene Burg vor rotem Hintergrund auf grünem Rasen. Das Symbol findet sich wieder auf dem Ring, den Hans-Werner Carlhoff an der linken Hand trägt.

Dieser Mann macht die Johanniterritter offenbar neugierig, vielleicht erkennen sie in ihm einen von ihnen. Jedenfalls bekommt Hans-Werner Carlhoff von da an Einladungen zu Gesprächsabenden und anderen Veranstaltungen. 1989 wird er Mitglied der Johanniter-Hilfsgemeinschaft, heute ist er Erster Vorsitzender. Weil er sich verdient macht, kommt eines zum anderen. Er wird 1990 auf Empfehlung zum Ehrenritter ernannt, zwölf Jahre später zum Rechtsritter geschlagen, die nächste Stufe in der Hierarchie. Es gibt nur einen, der im Johanniterorden noch über ihm steht: der Herrenmeister, der auch das letzte Wort über die Aufnahme aller Ritteranwärter hat. „Ich weiß nicht, wer mich vorgeschlagen hat“, sagt Hans-Werner Carlhoff. Ihn erreichte nur ein Brief, dass er sich diese und jene Tage frei halten solle.

4000 Rittersleut der Johanniter gibt es über die ganze Welt verstreut. Sie bleiben es ihr Leben lang, Ausschlüsse oder Austritte seien äußerst selten, sagt Carlhoff. Dafür muss es schon heftige Streitereien geben, oder ein Mitglied zahlt seine Jahresbeiträge nicht. Oder aber die Ordensregel wird gebrochen. Und diese Regel geht so: „Der Johanniter lässt sich rufen, wo die Not des Nächsten auf seine tätige Liebe und der Unglaube der Angefochtenen auf das Zeugnis seines Glaubens warten.“

Sich einzubringen liegt Hans-Werner Carlhoff im Blut. Carlhoff ist nicht nur Johanniterritter, sondern auch – um nur ein paar Ämter zu nennen – Regionalrat der CDU, Richter beim Landessozialgericht, Mitglied beim Deutschordens-Hilfswerk sowie Vizepräsident bei der Deutsch-Vatikanischen Gesellschaft. „Ich bin ein Netzwerker“, sagt Hans-Werner Carlhoff.

Bis Juni 2013 leitete er die interministerielle Arbeitsgruppe für Fragen zu Sekten und Psychogruppen in Baden-Württemberg. Bei ihm liefen alle Fäden zusammen, er vertrat das Land auf Bundesebene. Die Stelle hatte es vor ihm nicht gegeben, er ist in sie hineingewachsen, sie passte ihm wie ein Maßanzug. Sein Dienstherr hätte ihn gern da behalten. Ein halbes Jahr hängte er noch dran – dem Land zuliebe – dann war Schluss. Auch Ritter gehen in Rente.

Ein Ehrenmann will Hans-Werner Carlhoff auf Lebenszeit bleiben.