Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)
Sie sind nicht nur Botschafter des Humanen, sondern auch Christ. Macht Ihnen der Krieg der Religionen Angst, der an vielen Stellen der Welt brennt?
Angst ist das falsche Wort. Es macht mich sehr traurig zu sehen, dass etwas, was eigentlich sehr positiv ist – nämlich der Dialog des Menschen mit einer höheren Macht – pervertiert wird zu einem Anlass für inhumanes Handeln. Fast könnte man denken, dass es besser wäre, wenn es gar keine Religionen gäbe, sondern nur humanes Denken. Religion darf nicht dazu da sein, anderen Menschen intolerant zu begegnen.
Sie leben zwar seit Beginn der 1960er Jahre nicht mehr in den USA, besitzen aber neben der deutschen noch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Welche Empfindungen weckt der US-Präsident Donald Trump in Ihnen?
Grauen und große Enttäuschung. Wenn ich an die Prinzipien denke, auf denen mein Land gegründet wurde, ist Trumps Präsidentschaft unglaublich. Diese Prinzipien beschreibt ein Gedicht, das am Fuß der Freiheitsstatue in New York hängt – Trumps Programm ist genau das Gegenteil davon. Es ist grauenvoll zu sehen, wie er seinen Job als Präsident nicht beherrscht, aber auch nicht die Bescheidenheit besitzt zu sagen: Bitte, helft mir! Er betreibt Politik mit so großem Egoismus und Narzissmus, als ob es ein TV-Spektakel wäre.
Ihre Staatsbürgerschaft behalten Sie dennoch?
Ja, denn ich glaube an das Land, und dieses Land ist nicht Donald Trump. Trump wird gehen, aber Amerika bleibt. Das einzig Positive an ihm ist, dass er viele Menschen zu politischem Denken angeregt hat. Viele bemerken plötzlich, was es zu verlieren gibt. Dieser Präsident hat viele Menschen aus ihrem politischen Schlaf geweckt: 90 Millionen Menschen, die nicht gewählt haben – die müssen nun aufwachen.
Wenn Sie könnten: Welches Ihrer Ballette würden Sie Donald Trump gern zeigen?
Die „Matthäus-Passion“. Die große, geniale Musik von Bach beinhaltet alle menschlichen Eigenschaften, auch ihre Fehler: Liebe und Verzeihen, Versagen und Verrat. Die große Lektion dieses Werks ist, wie Menschen miteinander umgehen sollen. Aber das Stück wäre viel zu lang für Trump, das würde er nicht aushalten.
Was bedeutet Menschlichkeit in Ihrem Alltag als Ballettdirektor, der manchmal auch unangenehme Entscheidungen treffen muss?
Das Wichtigste ist, die Menschen zu informieren und mit ihnen menschlich zu sprechen, auch wenn man sie auf unangenehme Dinge vorbereiten muss. Selbst wenn eine Entscheidung zu emotionalen Reaktionen führen wird, muss ich mindestens versuchen, sie rational zu erklären. Wichtig ist, ehrlich zu sein und nicht feige. Wenn ich einen Vertrag nicht verlängern werde, schreibe ich dem Tänzer keinen Brief, sondern spreche mit ihm und erkläre so gut es geht meine Gründe. Im Ballettsaal gebe ich Kritik nicht unvermittelt von mir, sondern versuche den Tänzern begreiflich zu machen, was ich will und warum etwas richtig ist.
Der Erich-Fromm-Preis wird am 11. März 2017 um 18 Uhr in Stuttgart im Hospitalhof verliehen.