Winter 1949 – Der Kalte Krieg heizt sich auf, und im Berliner Osten formiert sich das „Neue Deutschland“, während der Westen per Luftbrücke versorgt wird. In dieser Zeit spielt Joseph Kanons neuer Thriller. Es geht um Liebe und Verrat.

Nachrichtenzentrale : Lukas Jenkner (loj)

Berlin - Alex Meier, erfolgreicher deutscher Schriftsteller mit jüdischen Wurzeln, ist 1933 aus Nazi-Deutschland in die Vereinigten Staaten geflohen. 1949 kehrt er während der Luftbrücke zurück in die Berliner Trümmerlandschaft. Allerdings keineswegs freiwillig: Infolge der Kommunistenhatz des McCarthy-Regimes ist Meier seine linke Vergangenheit zum Verhängnis geworden.

 

Nun hat der Schriftsteller mit dem amerikanischen Geheimdienst einen Deal gemacht: Er soll seine Kollegen im sowjetisch besetzen Osten ausspionieren, in dem sich gerade das neue, sozialistische Deutschland formiert. Im Gegenzug darf Meier früher oder später in die USA zurückkehren – zu seinem Sohn, der dort lebt und den der Vater schmerzlich vermisst.

Kein Ende des Leids

Das ist die Ausgangslage von Joseph Kanons neuem Thriller „Leaving Berlin“, in dem sich der Autor seinem liebsten Sujet treu bleibt, den chaotischen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Wieder müssen die Menschen mit den Folgen des jahrelangen, höllischen Tötens umgehen, und erneut zeigt sich, dass mit dem Ende des Krieges das Leid keineswegs aufgehört hat.

Denn im Berliner Osten angekommen, sieht sich Alex Meier sogleich einer Zumutung ausgesetzt. Er soll sich an die deutsche Geliebte eines ranghohen sowjetischen Offiziers heranmachen, in der Hoffnung, dass die Frau von ihrem russischen Bettgenossen Geheimes erfährt und mitteilt. Das Problem: Bei der Geliebten handelt es sich um Meiers Jugendliebe Irene. . .

Eine Leiche zuviel

Auf den folgenden gut 400 Seiten entspinnt Joseph Kanon aus dieser Konstellation ein Ränkespiel mit doppeltem Boden, das bisweilen bizarre Züge annimmt. Gelegentlich fühlt sich der Leser in einen jener Hitchcockfilme versetzt, in denen ein harmloser Mensch finsteren Kräften ins Gehege gerät und zum Helden mutiert. Kanons Wirklichkeitssinn sorgt jedoch dafür, dass es nicht allzu bunt wird.

Nur einmal, als plötzlich eine Leiche zu viel herumliegt und deren Entsorgung slapstickhafte Züge annimmt, geht dem Spionagespezialisten die Fantasie durch. Gleichwohl passt diese Episode in die Gesamtgeschichte, deren Tonart nicht so sehr nach moll klingt wie Kanons vorangegangenes Buch „Die Istanbul Passage“.

Spaß macht „Leaving Berlin“ vor allem wegen Kanons großer Stärke, atmosphärisch dicht zu schreiben. Die schäbigen Wohnungen in der total zertrümmerten Stadt, die Einsamkeit der Menschen, die Angst vor dem Verrat und der Willkür der Besatzer – all dies schildert Kanon anschaulich und eindringlich. Jeder einzelne Verrat – und derer gibt es viele in dem neuen Roman– erscheint da nachvollziehbar.

Joseph Kanon: „Leaving Berlin“. Aus dem Amerikanischen von Elfriede Peschel. C. Bertelsmann Verlag München 2015. Gebunden, 444 Seiten, 19,99 Euro. Auch als E-Book, 15,99 Euro.