Lokales: Mathias Bury (ury)

Unter den jüdischen Bürgern, deren Familien sich in Stuttgart niederließen, waren viele Unternehmer insbesondere der Textilbranche, Kaufleute, Ärzte, Rechtsanwälte und Künstler. Typisch für junge jüdische Frauen war, dass sie Krankenschwester lernten. Ein Beispiel für das Schicksal eines jüdischen Arztes ist das Leben von Jakob Holzinger und seiner Frau Selma. Er lebte und praktizierte in der Landhausstraße 181 direkt am Ostendplatz. Holzinger hatte als Offizier im Ersten Weltkrieg gedient, und er dürfte ähnlich patriotisch gesinnt und stolz darauf gewesen sein wie viele seiner jüdischen Zeitgenossen. Der Arzt hatte „eine sehr soziale Ader“, erzählt Sigrid Brüggemann. So habe Holzinger mittellose Patienten während der Weltwirtschaftskrise umsonst behandelt. „Er war im Viertel sehr beliebt.“ Als die Umtriebe der Nazis in den 30er Jahren zunahmen, schickten die Holzingers ihre Kinder Rudolf und Hermine nach Frankreich, sie selbst konnten sich eine Ausreise nicht vorstellen. Als Jakob Holzinger nach dem Novemberpogrom 1938 die Approbation verlor und im Konzentrationslager Dachau interniert wurde, wusste er, was ihm bevorstand, auch wenn er als Weltkriegsoffizier nach zwei Wochen wieder entlassen wurde. Anfang November 1940 hat sich das verzweifelte und verarmte Ehepaar das Leben genommen.

 

Dabei hatten Juden nach ihrer Gleichstellung 1864 auch in Württemberg allen Grund zur Hoffnung. So war es Joseph Maier, dem ersten Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Stuttgart, gelungen, eine Landesorganisation für die Israelitische Religionsgemeinschaft aufzubauen. Diese wurde „zur dritten Landeskirche in Württemberg“, sagt Sigrid Brüggemann. Der „liberale und sehr aufgeklärte“ Josef Maier, aus ärmlichen Verhältnissen im Hohenlohischen stammend, wurde Landesbeamter mit dem Titel eines Kirchenrats.

Als eigene soziale Gruppe hätten sich die jüdischen Bürger hier nicht gefühlt, betont Roland Maier. Dazu haben sie erst die Antisemiten gemacht, deren Treiben Anfang des 20. Jahrhunderts anhob.