Nir Ivenizki ist einer dieser israelischen Glückssucher. „Ich bin einfach hergekommen, weil Berlin die Hauptstadt der elektronischen Musik ist“, sagt er. Ivenizki ist DJ und Plattenproduzent, und seine Entscheidung, zusammen mit seinem Freund Doron Eisenberg nach Berlin zu ziehen, hatte alles mit seiner Gegenwart zu tun und nichts mit der Vergangenheit seiner Oma. „Machst du Witze?“, hat die ihn zwar gefragt, als er erzählte, dass er nach Deutschland gehe. Aber Nir meinte es ernst. „Ich höre sie manchmal in mir rufen: Komm zurück“, sagt er. Nun sitzt er im Gordon, einer Mischung aus Café und Plattenladen in Neukölln, die beiden Freunde haben es 2014 gegründet. Hipper geht es nicht – das Gordon ist ein Muss für Touristen. Und für Israelis. Die israelische Gemeinde wächst und wächst – und während sie anfangs noch wie ein Raumschiff auf dem Partyplaneten gelandet war, sind viele längst ihrer Kapsel entstiegen und im Alltag angekommen.

 

Was das bedeutet, erlebt Tal Alon mit ihrer Familie. Die Nachrichtenredakteurin kam 2009 mit ihrem Mann und zwei Kindern in die Stadt. „Wie viele jungen Israelis wollten auch wir für eine Zeit woanders leben“, erzählt sie. Die Kinder waren zweieinhalb und sechs Jahre alt, als die Familie nach Kreuzberg zog. Nach zwei Jahren in Berlin merkte Tal, dass sie sich in einer Art Blase befand: Freunde aus aller Herren Länder, aber wenig Bezug zu Deutschland. „Ich kannte keinen deutschen Politikernamen, wusste nichts über aktuelle Diskussionen in dem Land, in dem ich lebte.“

Auch der Rabbiner beobachtet, dass die Neauankömmlinge nach Identität suchen

Inzwischen hat Tal Alon hervorragend Deutsch gelernt, sie kennt den Berliner Winter, weiß, wie ein Elternabend funktioniert – und hat „Spitz“ gegründet, Berlins erstes hebräisches Magazin seit der Schoah. Das Magazin kommt gut an. „Ich verstehe die Subkultur, die hier entstanden ist, weil ich Teil von ihr bin“, sagt Tal Alon. Und zunehmend geht es auch in dieser Gruppe ums Ankommen, ums Bleiben, um Identität und Integration. „Ich war nie religiös“, sagt Tal. Aber ihren Sohn will sie jetzt aufs jüdische Gymnasium schicken. „Ich mache mir Gedanken darüber, als was sich meine Kinder einmal fühlen werden, was ihre jüdische Identität einmal definiert.“ Für sie ist die hebräische Sprache, die hier unterrichtet wird, eine wichtige Klammer. Der Rabbiner Daniel Alter beobachtet ebenfalls, dass die Neuankömmlinge eine Suche beginnen: „Israelis, die vorher nicht religiös waren, entwickeln mitunter in der Diaspora spirituelle Bedürfnisse.“

An die jüdische Gemeinde, die größte und älteste Gemeinde in Deutschland mit ihren 10 000 Mitgliedern, docken die jungen Israelis eher nicht an. Zwar vertreten die Rabbiner in den acht Synagogen der Stadt unterschiedliche Ausrichtungen, und es ist auch die Gemeinde, welche die Schulen und die Kitas betreibt, aber die Jüngeren, seien es nun Israelis und Einwanderer aus der Sowjetunion, wendeten sich von der Struktur der Gemeinde ab.