Die Jugendlichen sind besser, als die Schlagzeilen vermuten lassen, sagt Justizminister Stickelberger. Der Beweis: die Strafverfolgungsstatistik.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Jugendlichen sind "oftmals besser, als es manche Schlagzeilen von U-Bahn- und Bahnhofsschlägern vermuten lassen." Diesen Schluss zieht Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) aus der von ihm präsentierten Strafverfolgungsstatistik 2010. In Baden-Württemberg sind danach 7725 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren wegen Straftaten verurteilt worden, 12,1 Prozent weniger als im Jahr zuvor.

 

Die Zahl sei so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr, was Stickelberger als erfreulich wertete. Von dem Tief zu Beginn der neunziger Jahre, als weniger als 5000 junge Menschen verurteilt wurden, sei man aber noch weit entfernt. Immerhin sinke die Zahl inzwischen seit drei Jahren hintereinander.

Positiv ist der Trend auch bei Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren. In dieser Altersgruppe gab es im Jahr 2010 11.412 Verurteilungen, was einem Rückgang um 8,5 Prozent entspricht. Damit sanken die Zahlen bei Jugendlichen und Heranwachsenden noch stärker als bei Erwachsenen. "Ich setze darauf, dass wir mit zügigen Verfahren und Präventionsarbeit kriminelle Karrieren frühzeitig stoppen und die positive Entwicklung verstetigen", sagte der Minister. Lobend hob er das "Haus des Jugendrechts" in Stuttgart hervor, in dem Täter, Justiz, Behörden und manchmal auch Eltern zusammenwirkten. Ein ähnliches Projekt sei 2012 für Pforzheim geplant, Mannheim habe ebenfalls Interesse angemeldet.

Die Zahl der schuldig Gesprochenen sinkt

Wie Stickelberger zusammen mit der Präsidentin des Statistischen Landesamtes, Carmina Brenner, berichtete, sank die Zahl der vor Gericht schuldig Gesprochenen insgesamt um 5500 auf 110.200. Dies entspreche einem Rückgang um 4,8 Prozent. Eine geringere Zahl von Verurteilten habe es zuletzt 1992 gegeben. Auch die sogenannte Verurteiltenhäufigkeit, also die Zahl der Verurteilten bezogen auf die Bevölkerung im strafmündigen Alter, sei bereits im dritten Jahr hintereinander gesunken: Mit 1183 Verurteilten je 100.000 Einwohnern liege sie fünf Prozent unter dem Vorjahreswert und damit auf dem niedrigsten Niveau seit Beginn der Berechnung 1970.

Bei den Schuldsprüchen stehen Straßenverkehrsdelikte mit 24 Prozent an der Spitze, gefolgt von Betrug und Untreue (23 Prozent), Diebstahl (16 Prozent), Drogendelikten (7 Prozent) und Gewaltdelikten (5 Prozent). In den ersten vier Gruppen sei die Zahl der Verurteilungen um jeweils vier bis sechs Prozent zurückgegangen, berichtete die Statistikchefin Brenner; bei den Gewaltdelikten blieb sie dagegen konstant. Bei schweren Straftaten stieg die Zahl der Schuldsprüche zum Teil deutlich - so bei Raubdelikten um 14,1 Prozent auf mehr als 1.000 und bei Mord und Totschlag um 17,6 Prozent auf 107.

Unterschiedliche Taten bei Mann und Frau

Zwischen den Geschlechtern gibt es erhebliche Unterschiede: Die meisten Männer werden wegen Straßenverkehrsdelikten (24 Prozent) verurteilt, gefolgt von Betrug und Untreue oder Diebstahl. Bei den Frauen rangieren Verkehrsdelikte erst an dritter Stelle (20 Prozent), am häufigsten (35 Prozent) sind Betrug und Untreue. Allerdings werden Frauen weitaus seltener schuldig gesprochen als Männer; nur jedes fünfte Urteil richtete sich gegen eine Frau.

Auch die Aufschlüsselung nach der Nationalität ergibt ein unterschiedliches Bild: Knapp 30.000 der insgesamt gut 110.000 Verurteilten waren Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Gegenüber dem Vorjahr ging ihre Zahl um 700 oder 2,3 Prozent zurück. Die Zahl der deutschen Verurteilten fiel derweil um 5,7 Prozent auf 80.400. Am stärksten sei der Rückgang bei ausländischen Jugendlichen mit 11,5 Prozent ausgefallen, berichtete Brenner.

Weniger als 2,5 Prozent der Fälle enden mit einem Freispruch

In fast drei Viertel aller Fälle (73 Prozent) wurden Geldstrafen verhängt. Freiheitsstrafen gab es bei 17 Prozent der Schuldsprüche. In den übrigen zehn Prozent wurden "Zuchtmittel" wie Verwarnungen oder Jugendarrest oder Erziehungsmaßregeln wie Arbeitsleistungen oder die Unterbringung im Heim ausgesprochen.

Insgesamt mussten sich in Baden-Württemberg 130.700 Beschuldigte in Strafverfahren verantworten. Davon wurden 84 Prozent - die besagten 110.200 - rechtskräftig verurteilt. In den übrigen Fällen wurden die Verfahren durch Einstellung, Freispruch oder "sonstige Entscheidungen" abgeschlossen, indem etwa Maßnahmen zur Sicherung oder zur Besserung angeordnet wurden. Laut Stickelberger endeten weniger als 2,5 Prozent der Fälle mit einem Freispruch. Dies zeige, dass im Südwesten nicht leichtfertig Anklage erhoben werde, lobte der Justizminister die Arbeit der Justiz.