Die Nationalelf ist dem spanischen Erfolgsmodell der Mannschaftsstruktur nahegekommen. Nun soll sie sich emanzipieren.  

Sport: Carlos Ubina (cu)

Frankfurt am Main - Joachim Löw hat genug. Er will einfach nichts mehr wissen von diesem Duell. Deutschland gegen Spanien, ewig lockt der Vergleich. "Um Gottes willen", sagt der Bundestrainer, "es gibt auch noch andere Mannschaften als Spanien und Deutschland." Die Niederländer zum Beispiel, die Engländer. Auch die Franzosen, und sogar die noch nicht qualifizierten Portugiesen. Ihnen allen traut Löw bei der Europameisterschaft 2012 viel zu.

 

Doch natürlich führt kein Weg an den Spaniern vorbei, wenn es um die Titelvergabe geht. Das weiß auch Löw. Er selbst hat den Welt- und Europameister in den vergangenen drei Jahren zum Maß aller Fußballdinge erhoben. Dessen Ballgewandtheit gepriesen, die Stilsicherheit gelobt und sich an seiner Mannschaftsstruktur orientiert. Aber jetzt, da durch das 3:1 gegen Belgien (Tore von Mesut Özil, André Schürrle und Mario Gomez) eine perfekte EM-Qualifikationsrunde hingelegt wurde, und das deutsche Team dem Erfolgsmodell der Spanier sehr nahegekommen ist, soll es sich davon emanzipieren.

Starker Kader anstatt Stammspieler

Löw kann das bewirken. Ohne Weiteres sogar. Der Bundestrainer ist in der angenehmen Lage, über einen so starken Kader zu verfügen, um nicht mehr nach anderen schielen zu müssen. Er selbst hat auch eine so starke Position inne, dass er per Dekret einfach den Begriff Stammspieler abschafft. Gibt es einfach nicht mehr beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). "Genau so verabschiede ich mich jetzt vom Duell Spanien gegen Deutschland", sagt Löw.

Und wenn der 51-Jährige demnächst mal das Vorschlagsrecht erhält, das Wort des Jahres zu küren, dann wird es "Konkurrenzkampf" sein. Diesen fordert er ein, diesen müssen die Spieler annehmen, und dieser wird die verbleibenden acht Monate bis zum Endrundenbeginn bestimmen.

Diese Spieler sind im Kader

Zuvor gibt es noch die EM-Nominierung. "Das wird leicht", sagt Löw. Denn im Gegensatz zu früher verfügt er über eine Auswahl, von der er fußballerisch restlos überzeugt ist. Was ein Blick auf einen Kader ohne Stammspieler verdeutlicht, der rochiert und rotiert, und der nicht nur den Kampf mit den Spaniern aufnehmen kann.

Tor: Manuel Neuer ist unbestritten die Nummer eins. Vielleicht ist der Münchner sogar unantastbar, da er die Bälle nicht nur sicher fängt, sondern Löws favorisiertes Torwartspiel durch seine Spieleröffnung mit Händen und Füßen bestens umsetzt. Dahinter hängen Tim Wiese und Ron-Robert Zieler in der Warteschleife. Doch Vorsicht. Es gibt in der Bundesliga noch eine ganze Reihe von jungen Torhütern (Kevin Trapp, Oliver Baumann, Marc-André ter Stegen). Für den seit Langem verletzten René Adler bleibt da erst einmal kein Platz.

Abwehr: Seit Philipp Lahms Flankenwechsel hat sich auf den Außenverteidigerpositionen das Rechts-links-Gefälle verschoben. Jetzt ist die linke Seite wieder dicht - aber rechts gibt es eine Qualitätslücke zu schließen. Nachdem Christian Träsch sich auf die Bank verteidigt hat, heißen Löws Anwärter Jérôme Boateng und Benedikt Höwedes, beides Innenverteidiger. Doch beide müssen froh sein, überhaupt einen Platz in der DFB-Elf zu ergattern. Denn in der Zentrale vertraut Löw nach wie vor auf Per Mertesacker. Den Arsenal-Mann kann er mit Holger Badstuber oder Mats Hummels kombinieren. Auf Wunsch gehen aber auch Badstuber und Hummels oder andere Paare. Löw plant bis zur Nominierung im nächsten Mai noch einige Feldversuche.

Mittelfeld: Das ist Löws Paradestück: große Auswahl, große Klasse, große taktische Variabilität. Bastian Schweinsteiger dient als Fixpunkt. Um ihn herum kreisen die Möglichkeiten. Austariert ist die WM-Variante mit Sami Khedira. Doch zuletzt hat sich Toni Kroos in den Vordergrund gespielt. Für ihn hat Löw den Begriff des "Zwischenspielers" geprägt, weil der Bayern-Profi Defensive und Offensive gleich stark verbindet. Die vordere Mittelfeldreihe ist eine Augenweide. Egal, ob Mesut Özil oder Mario Götze spielen. Der Bundestrainer zieht sogar in Erwägung, irgendwann beide Edeltechniker gemeinsam auflaufen zu lassen. Dann müsste Götze wohl nach außen ausweichen, wo Löw grundsätzlich aber schnelle Spieler wie Thomas Müller und Lukas Podolski bevorzugt. Sicher darf sich aber vor allem Podolski nicht fühlen. Denn auch André Schürrle macht Druck. Zudem gibt es noch Marco Reus. Wem das alles noch nicht schnell genug ist, muss sich allerdings nicht nach David Odonkor zurücksehnen. Löw kann auch noch den Leverkusener Sprinter Sidney Sam dazuholen.

Angriff:Mario Gomez oder Miroslav Klose - das ist die einzige Frage, die sich im Angriff stellt. Zwar liebäugelt Löw gelegentlich damit, mal wieder im 4-4-2-System und damit beide gleichzeitig spielen zu lassen, doch das wird eine Ausnahme bleiben. Es kann also nur einen Mittelstürmer geben. Den vom Bundestrainer als "Tormaschine" bezeichneten Gomez oder den turnierbewährten Klose - übrigens der einzige Spieler im aktuellen Kader, der noch in den siebziger Jahren geboren wurde (1978). Gegen Belgien betrug das Durchschnittsalter der Anfangself unter 24 Jahren. Lahm war der Älteste DFB-Akteur auf dem Platz, er wird nächsten Monat 28.

Im Sturm gibt es jedoch keine jungen, aufstrebenden Kräfte. "Thomas Müller und André Schürrle können das zwar spielen", sagt Löw, doch er sieht sie lieber über die Außenbahnen entlangflitzen. Das wiederum erhöht die Chancen des Stuttgarters Cacau, erste Wahl als Ersatz-, pardon, Nichtstammspieler zu bleiben.

Der Weg der Nationalelf zur EM

Rückblick

Die zehn deutschen Siege in der Qualifikation zur Fußball-EM 2012:

3. September 2010 in Brüssel: Belgien - Deutschland 0:1

7. September 2010 in Köln: Deutschland - Aserbaidschan 6:1

8. Oktober 2010 in Berlin: Deutschland - Türkei 3:0

12. Oktober 2010 in Astana: Kasachstan - Deutschland 0:3

26. März 2011 in K’lautern: Deutschland - Kasachstan 4:0

3. Juni 2011 in Wien: Österreich - Deutschland 1:2

7. Juni 2011 in Baku: Aserbaidschan - Deutschland 1:3

2. September 2011 auf Schalke: Deutschland - Österreich 6:2

7. Oktober 2011 in Istanbul: Türkei - Deutschland 1:3

11. Oktober 2011 in Düsseldorf: Deutschland - Belgien 3:1

Ausblick

11. November 2011:Ukraine in Kiew,

Testspiel 15. November 2011: Niederlande in Hamburg,

Test 29. Februar 2012: Frankreich in Bremen,

Test Anfang Mai 2012: Berufung des EM-Aufgebots

8. Juni bis 1. Juli 2012: EM-Endrunde in Polen und in der Ukraine