Erich Kästner „focht sprachlich elegant mit dem Florett, nicht mit dem Holzhammer“, sagt Andreas Wulf. In Sillenbuch hat der Schauspieler, Historiker und Politologe Erwachsenen aus dem Leben des bekannten Literaten erzählt.

Sillenbuch - Andreas Wulf ist ein Experte für Kommunikation und Körpersprache, er ist Historiker und Politologe, und er ist ein improvisierender Schauspieler. Beste Voraussetzungen also, um den Literaten und Kinderbuchautoren Erich Kästner auf unterhaltsame Weise vorzustellen. Auf Einladung von „Kultur bei uns“ präsentierte der in Hamburg geborene und in Stuttgart lebende Andreas Wulf im Atrium Kästner für Erwachsene. Als Titel hatte er dessen Loblied auf die Faulheit ausgewählt: „Bürger, schont Eure Anlagen“. Kästner selbst, das wurde an diesem Abend deutlich, ging mit seinen Zeitgenossen oft schonungslos ins Gericht, so wie er in seinen Kinderbüchern keine heile Welt vorgaukelte.

 

Kästner starb 1974

Geschickt stellte Andreas Wulf den Schriftsteller in den historischen und politischen Zusammenhang seiner Zeit. 1899 im Kaiserreich geboren, gesundheitlich ruiniert durch den Ersten Weltkrieg, ein junger Schreibender während der turbulenten Weimarer Republik, ein mühsam Überlebender zur Zeit der Nationalsozialisten, starb Kästner 1974, in dem Jahr, in dem Helmut Schmidt Bundeskanzler wurde. Als Verfasser von „Emil und die Detektive“ oder „Pünktchen und Anton“ erlangte er Bekanntheit, doch am Anfang stand die Lyrik: Kästner schrieb Gedichte über alles, so Wulf, „was ihm vor die Nase kam“.

Die Kindheit in Dresden war überschattet von der Depression der Mutter, die der Junge des Öfteren vor dem Selbstmord bewahren musste. Kästner selbst hat sich als „mustergültigen Sohn“ beschrieben. „Er ist ein Erwachsener geworden, der die Kindheit verpasst hat“, erklärte Andreas Wulf, warum seine Protagonisten in den Kinderbüchern oft unangepasst sind: „Sie sind die besseren Erwachsenen.“ Von Leipzig, seiner ersten journalistischen Station, wechselte Kästner nach Berlin, nachdem er wegen des angeblich zu frivolen Gedichts „Nachtgesang des Kammervirtuosen“ rausgeschmissen worden war.

Mit dem Florett, nicht mit dem Holzhammer

In dem 1931 erschienenen Roman „Fabian – die Geschichte eines Moralisten“ beschrieb Kästner, wie schwer es ist, in einer Welt voller Verführungen eine saubere Weste zu behalten. Auch ihn hat man oft einen Moralisten genannt. „Aber“, so betonte Wulf, „er focht sprachlich elegant mit dem Florett, nicht mit dem Holzhammer“.

Mit dem Verbrennen seiner Bücher hätten die Nationalsozialisten Kästner „den Strom abgestellt“. Er sei kein Aufrührer, kein Anarchist gewesen, jedoch ein kritischer Geist wider den Militarismus. Um in dieser Zeit zu überleben, schrieb er harmlosere Bücher wie „Drei Männer im Schnee“ oder das Drehbuch zu einem Münchhausen-Film. Wie sein Schriftstellerkollege Kurt Tucholsky war auch Kästner unter zahlreichen Pseudonymen tätig, in diesem Fall unter dem Namen Berthold Bürger. „Nach 1945 hat er nie mehr den Tritt gefunden“, Wulf bedauerte, dass dem Schriftsteller der große Roman der Nachkriegszeit nicht mehr gelungen sei. Das habe ihn sehr gequält und letztlich zum Alkoholiker werden lassen.

Mit einzelnen Gedichten machte der Schauspieler seine Zuhörer mit dem besonderen Kästnerschen Ton bekannt, in den sich bei allem Witz und bei aller Schärfe immer auch Molltöne gemischt haben. Durch seine gelegentlich kritischen Anmerkungen und die empathisch vorgetragenen Gedichte wurde deutlich, wie sehr Wulf Kästner als Literaten bewundert, aber auch als Menschen bedauert. Bei aller Melancholie habe dieser seinen Lesern doch immer den Rat mitgegeben, nicht zu verzweifeln: Der Mensch, so sagte Kästner 1949 in München, seiner letzten Lebensstation, solle auf sein Gewissen hören, sich Vorbilder suchen, nie seine Kindheit vergessen und sich Humor erwerben, um die Eitelkeit totzulachen.