Das Delfinarium im Allwetterzoo Münster schließt. Befürworter und Gegner der Delfinhaltung stehen sich weiterhin unversöhnlich gegenüber: Werden in Zoos gehaltene Delfine als Showclowns missbraucht oder sind sie Botschafter für den Artenschutz?

Münster - Es riecht nach Popcorn und Chlor. Sonnenlicht reflektiert auf den kleinen Wellen im Pool und vom Hallendach baumelt eine rote Boje. An einem warmen Montagnachmittag ist die Delfinshow im Zoo Münster gut besucht. Familien mit Kleinkindern und junge Paare drängen sich auf den Besucherrängen. Ein kleiner Junge rutscht auf seinem Sitz hin und her. Dann kommen sie endlich: Elegant und lautlos gleiten drei Große Tümmler in das Vorführbecken. Während das siebenjährige Nesthäkchen Rocco am Beckenrand mit einer weißen Boje spielt, zeigen Nando, mit 22 der Anführer der Junggesellengruppe, und Palawas, acht Jahre alt, ihre Kunststücke: Sie springen in hohen Bögen aus dem Wasser, lassen sich – kurz auf der kleinen Bühne neben der Trainerin verweilend – bestaunen und vollführen schwungvolle Salti. Die Zuschauer sind begeistert, die Großen klatschen und den Kleinen steht der Mund offen.

 

Delfinshows sind Jürgen Ortmüller ein Graus. Die Schließung aller Delfinarien und der Transfer der Delfine in menschenbetreute Lagunen sind sein Ziel. Dem Gründer, Geschäftsführer und Repräsentant des Wal- und Delfinschutz-Forums (WDSF) sind „Ungerechtigkeit und Unwahrheit seit frühester Kindheit zuwider“. Auf einem Fachkongress in Lindau sah er 1999 zum ersten Mal Videos von Delfinschlachtungen. Seitdem hat sich Ortmüller, der hauptberuflich Steuerberater ist, intensiv mit dem Thema befasst. Er gründete 2007 das WDSF und kämpft seitdem mit einer Armada freiwilliger Helfer für die Freiheit gefangener Delfinen.

Für die Modernisierung fehlt das Geld

Aus seiner Sicht hat Ortmüller gerade wieder einen Etappensieg errungen: Noch vor Ende des Jahres werden Palawas, Nando und Rocco Münster verlassen. Der WSDF-Chef hatte bei der Fachaufsichtsbehörde beantragt, die Haltungsbedingungen in Münster zu überprüfen. Daraufhin wurde der Delfinariumbetreiber verpflichtet, ein lichtdurchlässiges Hallendach zu bauen. Ortmüller führt die Schließung darauf zurück, dass dazu das Geld fehlte. Jörg Adler, Direktor des Allwetterzoos in Münster, hingegen sagt, er habe bereits vor Jahren erkannt, dass das veraltete, privat geführte Delfinarium nicht mehr in seinen sich rapide modernisierenden Zoo passe. Da dem privaten Betreiber aber das Geld für eine Modernisierung fehle, habe er mit dessen Einverständnis die Diskussion um die Schließung angeregt. „Wenn sich das WDSF jetzt mit meiner Entscheidung schmückt, und Herr Ortmüller behauptet, auf Grund seines Drucks, sei das Delfinarium geschlossen worden, dann gebe ich mit Gelassenheit zurück: Welcher Druck denn ?“

Obwohl beide die Schließung des Delfinariums anstreben, verkörpern Adler und Ortmüller gegensätzliche Positionen im Streit um die Delfine. Adler nutzt nach eigenen Angaben den Zoo um Menschen emotional auf das Thema Artenschutz aufmerksam zu machen. Tatsächlich engagiert sich der Zoo Münster stark im Schutz gefährdeter Tiere in ihren Lebensräumen und das Delfinarium arbeitet mit Yaqu Pacha zusammen, einem Verein zur Erforschung, zum Erhalt und zum Schutz südamerikanischer Meeressäuger. Doch für Ortmüller sind diese Aktivitäten des Zoos „nur eine Schutzbehauptung“.

Trainer bekommen Morddrohungen per E-Mail

Der einzige Delfintrainer, der sich zu diesem Streit öffentlich äußern will, steht an der Seite von Jürgen Ortmüller. Ric O’Barry, der in den 60ern die Flipper-Fernsehdelfine trainierte, sagte dazu in einem Interview: „Wenn man in einem Delfinarium arbeitet, wird man zum professionellen Lügner.“

Immer wieder werden Ortmüller und seinen Anhängern Emotionalität und Unsachlichkeit vorgeworfen. Eine vernünftige Diskussion scheint unmöglich. Diejenigen, die ganz nah an den Delfinen dran sind, trauen sich nicht an die Öffentlichkeit. „Die Trainer und Pfleger sind völlig verunsichert“, sagt Guido Dehnhardt, Meeres- und Neurobiologe an der Universität Rostock, der selbst jahrelang an den Münsteraner Delfinen geforscht hat, „die Mitarbeiter erfahren ganz massive Anfeindungen militanter Tierschützer.“ Es habe sogar schon Morddrohungen per E-Mail gegeben.

Im vergangenen Jahr wurde Dehnhardt zum Sachverständigen der Bundesregierung berufen. Er soll helfen, neue Richtlinien für die Haltung von Meeressäugern erarbeiten. „Ich bin sehr dafür, dass man die Haltung kritisch hinterfragt und auch Forderungen stellt, die wehtun“, sagt er, „doch abstruse Forderungen, die nur dazu dienen, die Haltung abzuschaffen, sind nicht zielführend.“

Wie wichtig ist die Forschung an den gefangenen Tieren?

Dehnhardt hält die Forschung an gefangenen Tieren für notwendig. Er selbst hat mit Kollegen nachgewiesen, dass Delfine elektrische Felder wahrnehmen. Dieser Elektrosinn hilft ihnen wahrscheinlich, im Schlamm verborgene Beutetiere, anhand natürlicher elektrischer Felder, aufzuspüren. Bis zu dieser Entdeckung war das Schnabeltier der einzige Säuger, bei dem dieser Sinn bekannt war. „Vieles, was wir über Tiere lernen, können wir nur an gefangenen Tieren lernen. Das gilt besonders für Meeressäuger. Das ist für mich ein gutes Argument für die Tierhaltung in Zoos.“ An gefangenen Tieren gewonnenes Wissen ermögliche es, freie Tiere besser zu schützen, gestrandete Tiere zu retten und – wenn das Tier nicht allzu große Schäden davongetragen hat – wieder auszusetzen.

„Die Forschung lasse ich als Argument nicht gelten. Das geht auch in freier Wildbahn“, sagt Jürgen Ortmüller. Für ihn ist jeder einzelne gefangene Delfin „ethisch und moralisch“ nicht vertretbar. „Delfine sind New-Age-Tiere und werden von Esoterikern als ‚der bessere Mensch‘ und ‚der Geist in den Wassern‘ bezeichnet“, sagt Dehnhardt. „Ich habe die Delfinszene bewusst verlassen und möchte mich auf dieser emotionalen Ebene nicht mehr mit dem Thema auseinandersetzen.“ Er leitet nun das Robbenforschungszentrum der Uni Rostock.

Wo Nando, Palawas und Rocco zukünftig Luftsprünge machen werden, entscheidet das Europäische Erhaltungszuchtprogramm. Eine Unterbringung in den großen Anlagen der beiden letzten verbliebenen Delfinarien in den Zoos Duisburg oder Nürnberg scheint naheliegend. Das WDSF kritisiert beide Einrichtungen. „In den Zoos Nürnberg und Duisburg sind seit Bestehen mehr als hundert Delfine verstorben, die Tiere scheinen dort so krank zu sein, dass sie täglich mit Antibiotika und Psychopharmaka behandelt werden“, sagt Ortmüller, und: „Mein Ziel ist die Schließung der Delfinarien.“