Klaus Wowereit ist ein Regierungschef auf Abruf, die Berliner Sozialdemokratie steckt im Dauertief. Die Basis scheint genug zu haben von der Fassade der Harmonie: Vor dem Parteitag ist der Machtkampf eröffnet, die Kronprinzen werden zu Kontrahenten.

Berlin - Offiziell ist alles wie immer. Ruhe, keiner sagt was. Und wenn jemand etwas sagen würde – zum Beispiel der junge SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh – dann wären es derselbe Satz wie seit zwei Jahren: „Wir brauchen Stabilität.“

 

Stabilität ist vielleicht genau das Gegenteil dessen, was die Berliner SPD im Moment kann. Seit 25 Jahren regieren die Sozialdemokraten in Berlin mit; Klaus Wowereit ist Regierender Bürgermeister in seiner dritten Legislaturperiode und seit dem Debakel um den Berliner Flughafen 2012 schwer angeschlagen. Bisher hält die Partei an ihm fest – hinweg über alle jüngeren Schlappen, über schlechte Umfragewerte, steigende Baukosten, einen nicht existierenden Eröffnungstermin für den BER, über eine geheim gehaltene Steueraffäre um seinen Staatssekretär Andre Schmitz. Denn Wowereit ist nach wie vor der bekannteste Politiker seiner Partei in Berlin, und die SPD hat ihm viel zu verdanken.

Stützen statt stürzen hieß bisher die Devise – und hinter dieser schönen Idee liefen sich die selbst ernannten potenziellen Nachfolger möglichst geräuschlos warm. Jetzt allerdings, einen Monat vor dem Parteitag mit der Wahl des Parteivorsitzen – der letzten regulären Gelegenheit sich rechtzeitig als natürlicher Spitzenkandidat für 2016 zu positionieren – bricht der Machtkampf aus. In der Führungsspitze wird bestätigt, dass der Fraktionsvorsitzende Raed Saleh (36) eine Kampfkandidatur gegen den amtierenden Parteichef Jan Stöß (40) ernsthaft in Erwägung zieht, weil er aus der Partei heraus dazu gedrängt werde. Angeblich gebe es Kritik an Stöß’ Führungsstil, dem es nicht gelinge, die Unruhe in einzelnen Kreisverbänden zu beenden.

Gespanntes Warten auf die offizielle Kandidatur

Eine Kandidatur Salehs könnte mit einem ganzen Personaltableau, in dem alle Strömungen berücksichtigt wären, einhergehen. Saleh schweigt dazu, Stöß reagiert: Er fordert öffentlich mögliche Aspiranten dazu auf, ihre Kandidatur jetzt zu erklären. Allerdings glaubt inzwischen kaum jemand, dass Saleh bei diesem Stand der Debatte noch auf eine Kandidatur verzichten kann, ohne sich selbst zu beschädigen.

Damit würden die beiden Kronprinzen, die den Generations- und Machtwechsel in der SPD vor zwei Jahren als dynamisches Duo eingeleitet hatten, offen zu Kontrahenten. Stöß, Vertreter des linken Flügels, hatte das Amt des Parteichefs im Juni 2012 in einer Kampfkandidatur errungen und damals Wowereits Vertrauten Michael Müller besiegt – mit Unterstützung Salehs, der als Meister im Organisieren von Mehrheiten gilt. Da trafen sich zwei Aufsteiger mit demselben Interesse: Sowohl der in praktischer Politikarbeit nicht sehr erfahrenen Verwaltungsrichter Stöß als auch der damals 34 Jahre alte, frischgebackene Fraktionschef Saleh brauchten die Möglichkeit, Profil zu entwickeln – am besten in einer funktionierenden Koalition mit Wowereit an der Spitze.

Auch der Termin 2016 für die BER-Eröffnung wackelt

Man hätte noch eine Weile mit dieser friedlichen Fassade weitermachen können. Allerdings erhielt die Nachfolgedebatte um Klaus Wowereit dieser Tage neuen Schwung – wieder durch den Flughafen BER. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass Wowereit sein Herzensprojekt im Amt eröffnen wird, ist gesunken: der bisher für 2016 geplante Start des Flughafens wackelt. Strategisch gesehen gäbe es aus SPD-Sicht damit weniger Grund, lange mit einem Wechsel im Roten Rathaus zu warten. Denn je näher der Wahltermin rückt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die derzeit starke CDU bereit wäre, das Bündnis fortzusetzen und einen Nachfolger im Parlament mitzuwählen. Neuwahlen wären die Folge. Doch der Parteitag ist für den 17. Mai angesetzt – ein brenzliger Termin für Streit: eine Woche vor der Europawahl und dem Volksbegehren gegen die Randbebauung rund um den Flughafen Tempelhof.