Autos müssen beim Gewicht abspecken, damit sie die Umwelt weniger belasten. Das ist die Chance für neue Werkstoffe. Die Zulieferer kämpfen um Marktanteile.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Das also ist der Stoff, aus dem die Träume sind: schwarzgrau, unspektakulär aussehend, aber auch unglaublich leicht. Und schön bearbeitet kann dieser Stoff durchaus auch etwas hermachen. Stefan Klebert, der Vorstandsvorsitzende der Schuler AG in Göppingen, hat ein Exemplar eines Autodaches in seinem Büro aufstellen lassen, daneben einige andere Fahrzeugteile. Der Unterschied ist mit Händen greifbar: Alle Teile sind schwer, nur das Dach nicht. Leicht kann es mit einer Hand angehoben werden, so, als halte man nur ein Stück Pappe in die Luft.

 

„Das ist aus Karbon“, sagt Klebert. Sein geringes Gewicht macht Karbon zu dem Stoff, aus dem die Träume sind. Im Flugzeugbau wird es schon länger verwendet – jetzt aber tüfteln Autobauer und Zulieferer daran, wie Karbon auch in der Serienproduktion eingesetzt werden kann. Autos müssen leichter werden, sollen sie weniger Sprit verbrauchen und weniger Kohlendioxid ausstoßen. Dass die Hersteller dabei auf Elektromotoren setzen, verstärkt den Zwang zum Leichtbau noch: Eine Batterie wiegt 250 Kilogramm und mehr – und auch dieses Zusatzgewicht muss möglichst irgendwo wieder eingespart werden.

„Wir revolutionieren den Autobau ein Stück weit“, sagt ein Sprecher von BMW. Die weiß-blaue Marke ist unter Deutschlands Autobauern Vorreiter bei der Verwendung von Karbon: Bereits Ende 2013 soll der viertürige BMW i3 bei den Händlern stehen. Bei diesem Fahrzeug setzen die Münchner auf einen Rahmen aus Leichtmetall und einen Aufbau aus Karbon.

In Moses Lake im US-Bundesstaat Washington hat BMW ein Joint Venture mit SGL Carbon, dem einzigen europäischen Hersteller des Wunderstoffs, aus der Taufe gehoben. Dort werden mit hohem Energieaufwand die Fasern produziert, die dem Stoff Widerstandsfähigkeit und Steifigkeit geben. Investitionen: 100 Millionen Dollar. Im Wackersdorf (Bayern) werden die Karbonfäden mit Kunststoff zu eine Art Matte verwoben. In einer Presse wird diese Matte mit Harz getränkt, um ihr Festigkeit zu geben, und geformt. Aus der Presse können Roboter dann ein fertiges Teil entnehmen – etwa ein Autodach. Allein in Leipzig hat BMW für den Start ins Karbonzeitalter 400 Millionen Euro ausgegeben.

Schuler, Weltmarktführer bei der Produktion von Karosseriepressen, bearbeitet mit den tonnenschweren Ungetümen bis jetzt vor allem Metall. Doch auch bei Karbon will das Unternehmen mit von der Partie sein: „Wir liegen da weit vorn“, sagt Klebert, der Chef eines Unternehmens mit 5000 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund einer Milliarde Euro. Das Rennen in das neue Zeitalter ist bereits eröffnet: In Eppingen bei Heilbronn fühlt man sich keineswegs von der Entwicklung abgehängt. Die Dieffenbacher GmbH ist mit 1680 Beschäftigten und einem für dieses Jahr angepeilten Umsatz von 350 Millionen Euro zwar weit kleiner als der Schuler, aber mit dem Pressen von Kunststoff beschäftigt sich das Unternehmen bereits seit 1929 – für den Prokuristen und Technikchef Matthias Graf möglicherweise ein Wettbewerbsvorteil.

Auf das Rezept kommt es an

Dieffenbacher baut seine Pressen zwar überwiegend für die Herstellung von Spanplatten, aber auch das kann durchaus hilfreich sein – ebenso wie bei Kunststoff nämlich braucht man auch dort eine Mixtur aus verschiedenen Substanzen, wichtig sind vor allem Klebstoffe. „Man muss auch den Werkstoff verstehen, nicht nur Pressen bauen können“, sagt Graf denn auch selbstbewusst – so wie eben in der Küche nicht nur der Herd wichtig ist, sondern auch das Rezept für den Teig. Das Unternehmen aus dem Kraichgau bietet auch Schneidgeräte an oder Extruder, die Kunststoff und Karbonfasern zu einem Gewebe verarbeiten, und will mit diesem Komplettangebot punkten. Bei Schuler indes glaubt man, durch eine Kooperation mit der Frimo-Gruppe aus Lotte (bei Osnabrück) durchaus mithalten zu können. Und noch eines hält Schuler-Vorstandschef Klebert für einen wichtigen Pluspunkt seines Hauses: „Wir haben einen starken automobilen Hintergrund“, sagt er zu der Produktion seiner Pressen, die seit Jahrzehnten bei Automobilherstellern rund um die Welt im Einsatz sind.

Doch bevor massenweise Karbon in die Fahrzeuge eingebaut wird, werden Anbieter wie Schuler auch noch vieles aus Blech pressen. Denn bei dem Stoff, der Autos leichter macht, sind noch viele Fragen offen. „Wir müssen das Verhalten der Fasern erforschen, wir müssen noch weitere Harze entwickeln, wir müssen schauen, welche Schneiden und Fräsen man braucht“, sagt Frank Henning vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) in Pfinztal in der Nähe von Karlsruhe.

„Ein ganz wichtiges Thema ist auch die Automatisierung des Verfahrens,“ erklärt der Wissenschaftler. Damit steht er nicht allein: Die Automatisierung ist gleich aus mehreren Gründen ein Schlüssel, der erst die Tür zu Fabriken für Karbonautos öffnet. „Noch“, so meint etwa Hubert Lienhard, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Heidenheimer Voith GmbH, wird vieles „händisch gemacht“. Voith kennt sich schon ein bisschen aus mit Karbon, verwendet man es doch in eigenen Produkten wie etwa Walzen für Papiermaschinen. Doch bei all dem, was noch kommen könnte,handelt es sich bei der jetzigen Verwendung eher um eine Art Laborbetrieb.

Die Herstellung der Karbonfasern ist nach Auskunft von SGL Carbon schon weitgehend automatisiert – im Gegensatz zur Herstellung der Teile aus diesem Material. Die Eisenmann AG in Böblingen hat erst kürzlich die niedersächsische Ruhstrat GmbH, einen Hersteller von Industrieöfen, übernommen. Damit kann Eisenmann gleich zwei Ofentypen anbieten, in denen Kohlenstofffäden erst bei 280 Grad, in einem zweiten Schritt dann bei 1800 Grad zu reißfesten Karbonfasern werden. Der Lackieranlagenspezialist sieht jetzt schon eine Menge von Anwendungen für Karbon, etwa in Sportartikeln wie Tennisschlägern. „Wenn jetzt das Thema Automobil dazukommt, wird sich das vervielfachen“, sagt Vorstandssprecher Matthias Krauland. Krauland hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: „Wir wollen bei solchen Anlagen für die Karbonisierung Weltmarktführer werden.“ Zum Umsatz von Eisenmann soll der Bereich Karbon in einigen Jahren nach den Plänen aus Böblingen bereits zehn bis 15 Prozent beitragen.

In den Startlöchern steht schon so manches Unternehmen, lernen müssen noch alle, bevor Karbon nicht nur in Luxusfahrzeuge, Sportwagen und Sonderanfertigungen in großem Umfang eingebaut wird. In Garching bei München hat Voith ein neues Werk auf die grüne Wiese gestellt, in dem Verfahren und Anlagen entwickelt werden, um den Geheimnissen der automatisierten, industriellen Karbonbearbeitung auf die Spur zukommen. In einem ersten Schritt haben die Heidenheimer bereits zehn Millionen Euro in die verfahrenstechnische Detektivarbeit gesteckt und 50 Mitarbeiter eingestellt. Die Pläne sehen weitere Ausgaben von 100 Millionen Euro und weitere 100 Beschäftigte vor.

Karbon ist nicht nur viel leichter als Stahl, es ist auch viel teurer. Im Automobilbau kostet ein Kilogramm Stahl bis zu fünf Euro, für ein Kilogramm Karbon müssen dagegen rund 90 Euro ausgegeben werden. Das würde bedeuten, dass der Materialwert einer Karbonkarosserie bei 13 500 Euro läge, der einer Stahlkarosserie dagegen nur bei 1500 Euro. Experten sind sich deshalb darüber einig, dass der Karboneinsatz preiswerter werden muss – und kann. Henning beispielsweise hält eine Senkung der Kosten um bis zu 50 Prozent für möglich. BMW gar hat sich das Ziel gesetzt, die Kosten für ein Kilogramm Karbon schon bis 2015 auf nur noch 15 bis 20 Euro zu reduzieren.

Noch gibt sich die Stahlindustrie gelassen

Doch es geht nicht nur um das liebe Geld – noch nämlich dauert die Verarbeitung viel länger als etwa bei Stahl. „Bei Stahl springen in einer Minute 17 Teile aus der Presse“, sagt Schuler-Chef Klebert, „bei Karbon dauert die Ausformzeit mehrere Minuten“ – zu lange, um beim Sekundentakt der Bänder in der Autoindustrie mithalten zu können. Experten indes wollen wissen, dass die Zyklenzeit in einigen Jahren durchaus halbiert werden könnte – und BMW setzt darauf, dass bei Karbonfahrzeugen weniger einzelne Teile gepresst werden müssten, somit ebenfalls Zeit eingespart werden könnte.

Doch wahrscheinlich wird auch in Zukunft nur höchst selten ein Auto komplett aus Karbon bestehen: „Man muss es dort einsetzen, wo es sinnvoll ist“, sagt Graf – etwa bei Teilen, die steif sein und hohen Druck aushalten müssen, so bei Verstrebungen oder in der Karosserie. Das beruhigt die Stahlindustrie. Dort hört man es gerne, wenn selbst Karbontüftler wie Klebert, Graf oder Lienhard meinen, der Anteil des Leichtbaustoffes in Autos werde zunehmen – was sich letzten Endes aber durchsetze, sei „ein Materialmix“.

Wohin mit dem Karbon-Abfall?

Wird mehr Karbon eingesetzt, dann gibt es auch mehr nahezu unzerstörbare Faserabfälle. Diese können etwa zur Verstärkung in Beton eingebracht werden. Tim Rademacker, Geschäftsführer bei CFK Valley Stade Recycling in Wischhafen bei Hamburg sieht noch eine ganze Menge weiterer Verwendungen: „Man kann Vliese herstellen, Kunststoffe mit kurz geschnittenen Karbonfasern verstärken oder die Fasern in Kunststoff für einen Kotflügel mischen.“ Der Wettlauf in die teilweise noch unerforschte Welt des Wunderstoffs Karbon ist also in vollem Gange.