Die Städte Stuttgart und Karlsruhe wollen ihre Mitarbeiter besser vor Beleidigungen und Drohungen schützen. Die Zahl und die Schärfe der Grenzüberschreitungen habe zugenommen, heißt es – bis hin zu körperlicher Gewalt.

Karlsruhe/Stuttgart -

 

Es wirkte wie ein Hilferuf, als sich die Stadt Karlsruhe am Dienstag an die Öffentlichkeit wandte: Diffamierung von Mitarbeitern, Hassmails und Übergriffe bis hin zur Gewaltandrohung haben offenbar so überhand genommen, dass sich die Bürgermeisterriege schützend vor ihre Bediensteten stellt. Jeder zehnte „Kunde“ der Stadtverwaltung benehme sich so, dass man „es nicht mehr hinnehmen könne“, sagte der Ordnungsamtsleiter Björn Weiße. Mitarbeiter der Stadt seien regelmäßig Beleidigungen ausgesetzt, dabei komme es häufig auch zu körperlicher Gewalt“. 20 bis 30 solche Fälle seien es pro Jahr. Drei Mal seien in diesem Jahr sogar Büros evakuiert worden – wegen Übergriffen mit Reizgas. Laut Weiße hat die Stadt in 26 Fällen Strafanzeige gegen Bürger gestellt, die beleidigend und ausfällig geworden seien. Dies hätten Gerichte „durchweg mit Geldbußen geahndet“. In einigen Ämtern habe man auch ein internes Alarmsystem eingeführt.

Karlsruhe: Angriffe gehen auch an die Psyche

„Die Entwicklung sehen wir mit Sorge“, sagte der Amtsleiter. Selbst „aus der Mitte der Gesellschaft“ würden Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die es früher nicht gegeben habe. Mitarbeiter würden oft „sehr persönlich angefeindet“, sagte die Finanz- und Wirtschaftsdezernentin Gabriela Luczak-Schwarz. Das gehe an die Psyche. Der Oberbürgermeister Frank Mentrup erklärte, dass durch soziale Netzwerke wie Facebook oder die Gelegenheit, Kritik per Mail abzuladen, „die Hemmschwellen stark gesunken“ seien. Er forderte eine gesellschaftliche Debatte, „wie wir mit den Netzwerken umgehen wollen“.

In Karlsruhe hatte sich zuletzt wohl einiges angestaut: Bei der Diskussion über eine neue Moschee der muslimischen Ditib-Gemeinde wurde Mentrup anonym „als Volksverräter“ beschimpft, und auch Mitarbeiter des Marktamts bekamen das neue Protestverhalten zu spüren: Wegen eines Beschlusses, mehrere Stände nicht zum Weihnachtsmarkt zuzulassen, hagelte es „Hasspostings und E-Mails fast im Stundentakt“, sagte Luczak-Schwarz.

Bund-Länder-Projekt: Bekämpfung von Hasspostings

Auch das Landeskriminalamt befasst sich mit diesem Phänomen. Es gebe „keine Statistik über Hasspostings“, sagt ein Sprecher. Es sei jedoch eine „recherchefähige Kennzeichnung“ geplant, eine zentrale Datei mit derartigen Vorgängen, sodass man Häufungen recherchieren und gegebenenfalls gerichtlich ahnden könne. Seit diesem Jahr gibt es zudem das Bund-Länder-Projekt „Bekämpfung von Hasspostings“. Ergebnisse liegen noch nicht vor.

Das Gros der Bürger begegne der Verwaltung jedoch „durchaus mit Anstand und Respekt“, sagt die Sprecherin der Städtetags Baden-Württemberg zum Thema „Hasspostings“. Die Bereitschaft, sich zu beschweren und die eigenen Interessen „über ein zulässiges Maß hinaus zu verdeutlichen“, nehme lediglich bei einer Minderheit zu – die größer werde.

Die Lage in Stuttgart

Auch in Stuttgart habe man es häufiger mit verbalen und sogar gewalttätigen Angriffen auf Mitarbeiter zu tun, sagte die Sprecherin der Stadt, Chiara Vitzthum. Betroffen seien ein Dutzend Ämter, darunter die Bäder, die Stadtbibliothek, die Stadtkasse, das Jobcenter oder das Amt für öffentliche Ordnung. Es habe im vergangenen Jahr auch vier körperliche Übergriffe gegen Mitarbeiter des Ordnungsamts gegeben, die zu insgesamt 160 Krankheitstagen geführt hätten.

Stuttgart reagiert darauf. Bis zum Frühjahr soll eine Arbeitsgruppe zwei Konzepte erarbeiten, eines für die Prävention und eines für die Akutsituation. So sollen Mitarbeiter der Stadt zu Ersthelfern ausgebildet werden, die Opfer sollen unterstützt werden, damit sie ihre Ansprüche gegen die Täter durchsetzen können, und bei Arbeitsplatzbeschreibungen werde künftig das Übergriffsrisiko geprüft. Bei stark frequentierten Bereichen wie den Bürgerbüros oder den Ausländerbehörden will Stuttgart zusätzliche Fluchtwege bauen.

Was sagen die Bürgermister im Land?

Auch im Verband baden-württembergischen Bürgermeister ist die Verrohung der Sitten immer mal wieder ein Thema. „Die länger gedienten Kollegen stellen eine negative Entwicklung fest“, sagt der Vizepräsident Michael Makurath. Am stärksten feststellbar sei das in den sozialen Medien: „Da sind die Schranken deutlich gebrochen“, so der Ditzinger OB. Bei manchem Kollegen sei die Familie anonym bedroht worden; das belaste schon sehr. „Das hängt über solchen Kollegen wie eine Gewitterwolke.“ Doch nicht nur digital, auch im direkten Umgang sei der Ton rüder geworden. „Die Akzeptanz behördlicher Entscheidungen ist deutlich gesunken“, sagt Makurath. „Dagegen wird protestiert, und zwar unmittelbar, laut und in anstößiger Sprache.“ Zu körperlicher Gewalt komme es zwar in der Regel nicht – aber man habe immer häufiger das Gefühl, „es fehlt nicht mehr viel“. Mittlerweile schulten viele Kommunen ihre Mitarbeiter im Umgang mit schwierigen Bürgern.

„Wir verfolgen den Karlsruher Vorstoß mit Interesse“, sagte die Sprecherin der Stadt Freiburg, Edith Lamersdorf. „Bisher haben wir keine allgemeine Linie.“ Das Problem sei aber bekannt. „Es gibt eine allgemeine Ungeduld. Der Ton ist ruppiger.“ Vor allem in E-Mails zögen manche Menschen vom Leder.

Heilbronn: Alarmknöpfe auf Schreibtischen

In Heilbronn hat man auf Angriffe bereits vor vier Jahren reagiert: Dort haben schon viele Mitarbeiter Alarmknöpfe auf ihren Schreibtischen. Im Notfall bekommen die Kollegen auf ihren Computerbildschirmen ein Signal, dass und wo jemand Hilfe benötigt. Ein solches System haben mittlerweile viele Städte im Land. Dass Heilbronn diese Alarmanlage vom Sozialdezernat auf andere publikumsträchtige Bereiche ausgedehnt hat, hat einen dramatischen Hintergrund: Im Mai 2012 übergoss ein Obdachloser im Vorzimmer des damaligen Oberbürgermeisters Helmut Himmelsbach zwei Mitarbeiterinnen und sich selbst mit Spiritus und drohte, sich anzuzünden. Er konnte beruhigt werden. Offenbar hatte er sich ungerecht behandelt gefühlt. Im Rathaus war man schockiert. Hassmails allerdings landen im Heilbronner Rathaus dem Sprecher zufolge kaum.

Körperliche Angriffe auf Rathausmitarbeiter sind selten

Schwäbisch Hall

In der 38 000- Einwohner-Stadt ist von einer „Verrohung der Sitten im Umgang miteinander“ nichts zu spüren. Der Oberbürgermeister Hermann-Josef Pelgrim (SPD) berichtet, dass dies kürzlich bei der Personalversammlung der Stadt kein Thema gewesen sei. Das Ergebnis; „Wir beobachten nichts Auffälliges“.

Tübingen

Einer, der immer wieder Zielscheibe von Attacken wurde, ist der Tübinger Oberbürgermeister. „Todesdrohungen und Hassbotschaften sind leider häufig”, sagt Boris Palmer (Grüne). Zweimal habe er bisher einen Strafantrag gestellt – mit nur wenig befriedigenden Konsequenzen. „Ich glaube, dass ein härteres Strafmaß geboten ist, um abzuschrecken”. Andernfalls werde es immer schwieriger, öffentlich für etwas einzustehen. Im Tübinger Bürgerbüro oder auf dem Ausländeramt sei keine auffällige Zunahme an Aggressivität bemerkt worden, sagt die Pressesprecherin Sabine Schmincke. Es habe schon immer etwas höflicherer und etwas ruppigere Bürger gegeben.

Reutlingen

In Reutlingen verzeichneten vor allem Mitarbeiter der Sozialamt eine wachsende Verunsicherung, sagt die städtische Pressesprecherin Cordula Walleit. Dort habe vor einiger Zeit ein Bürger mit einem Messer herumgefuchelt. Es kämen vermehrt Menschen zum Sozialamt, die sich in einer verzweifelten Situation befänden und in ihrer Hilflosigkeit wenig berechenbar seien. Auch die Zahl der Mails, die in den Amtsstuben ankämen, halte sich erfreulicherweise in Grenzen, sagt Walleit. Im Rathausbriefkasten seien allerdings immer mal wieder anonyme Schreiben gelandet, die die Grenze des Erlaubten bei Weitem überschritten hätten.

Ulm

Bei der Stadtverwaltung wird eine Zunahme „verbaler Aggressivität“ registriert. Das gelte in Ulm für das Jobcenter und andere Sozialbereiche, aber auch für die Arbeit von Politessen, sagt eine Sprecherin. Die Aggressoren kämen aus allen Altersklassen, der soziale Stand spiele keine Rolle.

Mannheim

In der Stadt hat sich nach Auskunft des Rathauses die Zahl unmittelbarer Bedrohungen oder direkter Angriffe gegenüber Verwaltungsmitarbeitern nicht erhöht. Falls so etwas vorkomme, werde umgehend Strafanzeige gestellt und Hausverbot erteilt, sagte ein Pressesprecher.

Heidelberg

Im Rathaus der Stadt hat man – insbesondere im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise – festgestellt, dass der generelle Umgangston im anonymen Raum der sozialen Netzwerken härter und oft auch beleidigend geworden ist. „Im direkten, persönlichen Umgang und dem Dialog mit den Bürgern spüren wir aber nichts von einer Verrohung“, versicherte er. „Klagen kommen natürlich immer wieder einmal von Mitarbeitern der kommunalen Ordnungsdienste, die Strafzettel ausstellen und bei Ruhestörungen einschreiten müssen.“ Aber das sei nichts Neues.