Beim Karneval in Brasilien ist in diesem Jahr die Maske eines japanischstämmigen Polizisten der Renner. Denn Newton Ishii ist bei der Jagd nach korrupten Wirtschaftsbossen äußerst erfolgreich – und deshalb populär.

Rio de Janeiro - Bis vor Kurzem war Newton Ishii ein Polizeibeamter, der kaum einem auffiel in Brasilien. Aber nun ist er plötzlich so bekannt, dass sein Gesicht für eine Karnevalsmaske herhalten muss. Sogar ein Lied ist auf ihn komponiert worden. Wem verdankt der Brasilianer mit den japanischen Wurzeln seine jähe Prominenz? Den Politikern und Wirtschaftskapitänen, die unter dem Verdacht der Korruption festgenommen werden. Denn Ishii ist immer mit dabei. Er steht stets im Hintergrund, wenn einer der Großkopfeten eingebuchtet wird.

 

„O japonês da Federal“, der Japaner der Bundespolizei, so wird er im Karneval besungen: „Mein Gott, jetzt geht’s mir schlecht (me deu mal), vor meiner Tür steht der japonês da Federal“, heißt es, frei übersetzt, in einem Faschingslied, das seit Kurzem in aller Munde ist. Mit seiner unvermeidlichen Sonnenbrille und seiner schwarzen Uniform ist er zur Ikone der Staatsmacht geworden, die tatsächlich endlich mal gegen das Grundübel Brasiliens vorgeht – die Korruption.

Den Bedarf an Faschingsmasken deckt in Rio de Janeiro traditionell die Firma Condal, deren Besitzerin allerdings betont, nicht Ishii, sondern einen „generischen“, also einen sozusagen abstrakt japanischen „Nicht-Ishii“ auf den Markt zu bringen. Denn Ishii ist keine Person der Zeitgeschichte, deren Konterfei ohne Genehmigung reproduziert werden darf. Aber natürlich sieht der generische dem nichtgenerischen Ishii zum Verwechseln ähnlich.

Politiker sind längst nicht mehr maskentauglich

Brasilien steckt tief in der Krise, und dass der Japaner von der Bundespolizei zum Star des Faschings zu werden scheint, ist die Folge davon. Denn Politiker-Masken, die in früheren Jahren so gut gingen, finden momentan keinen Anklang, klagt Olga Valles, die Chefin von Condal. Nicht dass die Masken beliebte Politiker darstellen müssen, um Verkaufsschlager zu werden; Saddam Hussein und Osama Bin Laden liefen sehr gut. Aber jetzt ist der Verdruss an der Politik offenbar so groß, dass weder positiv noch negativ besetzte Politiker maskentauglich sind.

Dann doch lieber den stämmigen, ein bisschen rambohaften Japaner, der als Saubermann daherkommt. Im Straßenkarneval wird er garantiert vieltausendfach Heiterkeit verbreiten. Selbst beim Fasching im nordostbrasilianischen Olinda, berühmt für die übermannshohen Figuren seines Umzugs, wird Ishii dabei sein – fast zweieinhalb Meter hoch.

Der offizielle Karneval der Samba-Schulen von Rio de Janeiro thematisiert klassischerweise ein Kapitel brasilianischer Geschichte, illustriert die Kultur einer Region, würdigt das Leben und Werk eines Prominenten oder er widmet sich noch Komplexerem, wie etwa dem Verhältnis des Menschen zum lieben Gott oder dem Thema Angst. Dass jedoch, wie bei den Rosenmontagsumzügen in Deutschland, aktuelle Ereignisse oder bestimmte Politiker auf die Schippe genommen würden, kommt im Sambodrom, der Faschings-Arena von Rio de Janeiro, praktisch nie vor. Umso bemerkenswerter, dass das Thema, das in Brasilien das Jahr 2015 geprägt hat, im Karneval 2016 zum Gegenstand eines Umzugs geworden ist: Korruption.

Allerdings auf eine Art, über die die Jecken in Köln den Kopf schütteln würden. Denn ausgerechnet den 400. Todestag des spanischen Dichters Miguel Cervantes zieht die Samba-Schule Mocidade heran, um sambatanzend jene Skandale zu thematisieren, deren Bekämpfung den „japonês da Federal“ berühmt gemacht hat.

Wie das geht? Indem Cervantes‘ Ritter Don Quijote und dessen Diener Sancho Panza dem heutigen Brasilien einen Besuch abstatten. Sie finden zum Beispiel eine Ölplattform vor, die von raffgierigen Drachen besetzt ist. Oder einen gewaltigen Schweizer Käse, dem ein Heer von Mäusen entsteigt – Anspielungen auf den Milliarden-Skandal um den Ölkonzern Petrobras und die vielen Schweizer Konten.

Der Karneval ist mindestens so korrupt wie der Fußball

Der Karneval als moralische Anstalt? Dagegen spricht nicht nur die Tradition der brasilianischen Karnevalskultur, der an der Kritik der aktuellen Verhältnisse nicht viel liegt, sondern vor allem der brasilianische Karneval selber. Denn der ist nämlich traditionell mindestens genauso korrupt wie die Politik oder der Fußball. Eine Reihe der großen, erfolgreichen Schulen werden von den Herren des Glücksspiels finanziert, also vom organisierten Verbrechen. Vor etwa zehn Jahren ging die Richterin Denise Frossard gegen die wichtigsten Figuren vor. Doch trotz der Verhaftungen und Urteile damals ist die Macht des Glücksspiels über ein Großteil der Samba-Schulen ungebrochen. Mocidade zum Beispiel, die dieses Jahr Don Quijote zu Besuch nach Brasilien einlädt, ist nach wie vor das Spielzeug der Mafia-Sippe Andrade.

Auch bei Beija-Flor, der mit 13 Titeln erfolgreichsten Samba-Schule Rios, haben die „bicheiros“ das Sagen, die Chefs der Glücksspiel-Mafia. Beija-Flor ist auch sonst nicht zimperlich. Vergangenes Jahr gewann sie den Titel mit einem Aufzug, der Afrika und vor allem Äquatorial-Guinea pries und damit eine korrupte Öl-Diktatur, deren Regierung sich die Lobhudelei von Beija-Flor rund drei Millionen Euro kosten ließ. Natürlich ein umstrittener Sieg, der die Erinnerung weckte an den Umzug „Ein großes Jahrzehnt“, mit dem Beija-Flor 1975 die ersten zehn Jahre der Militärdiktatur verherrlicht hatte.

In Rio de Janeiro stellten über Weihnachten öffentliche Krankenhäuser den Betrieb vorübergehend ein, weil das Geld ausgegangen war, und in der Rentenkasse ist nur ein Viertel dessen, was eigentlich drin sein müsste. Brasilien mag es zurzeit schlecht gehen, aber immerhin, der Karneval von Rio ist nicht in der Krise. Die Stadtverwaltung hat dieses Jahr den Zuschuss von einer Viertelmillion Euro für jede der zwölf Top-Samba-Schulen verdoppelt.