Die Kastelruther Spatzen lassen ihre Lieder von anderen einspielen. Das hat ihr langjähriger Produzent erzählt. Die Südtiroler Schunkelspezialisten sind damit aber nicht die Einzigen.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Haben die Kastelruther Spatzen ihre Fans verschaukelt? Stehen sie in einer Reihe mit Boney M, Milli Vanilli und Stefan Mross, der gutachterlich bestätigt auf seinen eigenen CDs gar nicht selbst Trompete gespielt haben kann? Der langjährige Produzent der Kastelruther Spatzen, Walter Widemair, legte mit seinen Äußerungen in der „Bild“ vom Dienstag genau diese Sichtweise nahe. So habe die Südtiroler Schunkelband unter anderem bei ihren rund 30 Studioalben kaum einen Ton selbst eingespielt. Die Band bestätigte, dass bei ihren Aufnahmen im großen Stil Studiomusiker zum Einsatz kamen.

 

An dem „Riesenschwindel“, den Widemair beklagte, wirkte er selbst mit. Der Produzent ließ für die Spatzen-CDs Schlagzeug, Keyboards und Gitarren von professionellen Studiomusikern einspielen; die Trompete blies er selbst. Er könne „nicht länger mit dieser Lüge leben“, sagte er. Wo „Kastelruther Spatzen“ draufsteht, sind demnach Musiksöldner drin, die gegen Bezahlung alles einspielen, was man von ihnen verlangt – schnell, perfekt, effizient. Was bei „Spatzen“-CDs hingegen kaum drin ist: Musik „von diesen Bierzeltmusikanten, die sich Spatzen nennen“ (O-Ton Widemair).

„Gute Nacht liebe Volksmusik

Sind Millionen verkaufter Platten, die Siege beim Preis „Krone der Volksmusik“ sowie etliche Echos „erschwindelt“? Sind die sieben Spatzen „Marionetten“? Widemair und der Boulevard sagen ja; empörte Schlagerfans äußerten sich am Dienstag zuhauf im Internet. Drei Beispiele: „Ich bin am Boden zerstört“, twitterte eine Nutzerin, „An was kann man noch glauben?“, fragte ein anderer. „Gute Nacht liebe Volksmusik“, hieß es auf Facebook.

Man könnte vermuten, dass Widemair mit der Geschichte sein demnächst erscheinendes Buch über die Kastelruther Spatzen ins Gespräch bringen will. Dessen unbeschadet wirft der Fall ein Licht auf die Aufrichtigkeit in der Unterhaltungsbranche. Wo die Entspannung perfekt und der Schein schön sein sollen, behilft man sich mit Technik und Profis. Dem Publikum bleibt das verborgen, man nimmt es hin oder will es nicht so genau wissen.

Sie haben nie einen Hehl daraus gemacht

Die Kastelruther Spatzen verteidigten sich am Dienstag mit dem Hinweis, dass sie aus dem Einsatz von Gastmusikern bei ihren Aufnahmen nie einen Hehl gemacht haben. „In jedem CD-Booklet steht genau, wer, wo, was spielt. Wir sind darum bemüht, eine gute CD auf den Markt zu bringen. Wer da was spielt, interessiert letzten Endes den Fan nicht“, sagte der Manager und Keyboarder Albin Gross zu „Südtirol online“.

Um den Einsatz von Gastmusikern bei Studioaufnahmen wisse man seit Jahren, sagt Marion Wunderlich vom Spatzen-Fanclub Bad Berleburg: „Die Fans lieben die Spatzen auf der Bühne, das sind sie live und das ist wichtig.“ Dieter Falk, der unter anderem Pur produziert hat, wundert der Einsatz von Studiomusikern bei den Kastelruther Spatzen nicht. „Aber eigentlich ist es bei dem, was da eingespielt wird, egal, wer es macht“, sagt er.

Der Etikettenschwindel ist ein Branchenphänomen

Der Etikettenschwindel ist freilich ein Branchenphänomen. Auch im Pop- und Rockbereich wurden laut Falk in den Achtzigern und Neunzigern oft Studiomusiker eingesetzt, denen man aus Angst vor einem Imageverlust Schweigegelder gezahlt habe. Von dieser Praxis sei man dort inzwischen eher wieder abgekommen. Das gelte aber nicht für Schlager und volkstümliche Musik, ergänzt der Schlagerproduzent Heinz Herold aus Hochdorf bei Plochingen: „Bei solchen Produktionen kommen in der Regel Studiomusiker zum Einsatz.“ Das habe vor allem finanzielle Gründe: Studiomusiker spielen die Musik schneller und besser ein als diejenigen, die das Ganze auf der Bühne vortragen. Der Einsatz von Profis reduziere die Studiomiete und die Aufnahmekosten. „Nur die Stimme des Sängers, die muss original sein“, sagt Herold.

Bei dem ein oder anderen Fan mögen solche Praktiken den Eindruck erwecken, die Industrie gaukele ihm etwas vor. Musikprofis sehen darin eine normale Geschäftspraxis. „Der Einsatz von Studiomusikern ist in der Branche – der Produktion zuliebe, um das Beste vom Besten auf den Markt zu bringen – üblich. Man kann hier nicht von Betrug reden, vor allem dann nicht, wenn man schreibt, wer spielt“, verteidigt sich der Spatzen-Manager Albin Gross. Die Südtiroler bringen auch vor, dass sie bei Liveauftritten alles selbst spielen. Diesen Eindruck hatte auch Heinz Herold, als die Spatzen im September in Hochdorf spielten; auch auf Konzertmitschnitten im Netz ist kein mitlaufendes Halb- oder Vollplayback auszumachen.

„Auf der Bühne“ heißt nicht immer „live“

Dass auf der Bühne alles live gespielt und gesungen wird, stimmt jedoch nicht ganz. Sobald Radio oder TV mitschneiden, läuft auch bei den Spatzen die Musik vom Band – weil man im TV jeden Fehler hört: „Da geht’s nicht anders: Mikro stumm, nur Mund auf und zu“, sagt Heinz Herold. Auch bei Künstlern wie Coldplay oder Lady Gaga laufe immer häufiger ein Band im Hintergrund, pflichtet sein Kollege Dieter Falk bei: „Darüber kann man sich ärgern.“

Möglich, dass die Fans im Schlagergeschäft mehr musikalische Ehrlichkeit vermuten, als dort tatsächlich vorhanden ist. Die Sache werde am Samstag hinter den Kulissen ein Thema beim „Musikantenstadl“ sein, sagt Ober-Spatz Albin Gross: „Vielleicht ist Widemair dort, dann werden wir das Gespräch suchen.“ Dass man jemals wieder an die jahrelange Zusammenarbeit anknüpfe, könne er sich „nicht vorstellen“.