In der Schule erklärt er seine Mutter für tot


Und so erfährt diese Mutter auch nicht von ihrem Sohn, sondern von der großstädtisch liberalen Mutter seines Freundes (François Arnaud), was der Zuschauer schon lange weiß: dass die beiden jungen Männer nämlich schon länger ein Verhältnis miteinander haben. Wobei Huberts sexuelle Orientierung früh angedeutet wird: Er hat über seinem Bett Pin-up-Poster von James Dean, Leonardo DiCaprio oder River Phoenix hängen, sein Freund heißt anspielungsreich Antonin Rimbaud, und Hubert selber, ein blasser Jüngling mit lockiger Künstlertolle, sieht aus wie ein von Jean Cocteau gezeichneter oder tragisch-ätherisch durch dessen Filme gleitender Held. Aber Xavier Dolan spielt das Coming-out dann eher herunter, stellt es jedenfalls nicht heraus als etwas ganz und gar Besonderes, weil er wohl vermeiden will, dass "I killed my Mother" in die Schwulenfilmschublade gesteckt wird.

Dies bleibt also eine Geschichte über einen Sohn, der sich seiner Mutter entledigen will. In der Schule erklärt er sie gegenüber der Lehrerin sogar für tot, als die Mutter davon erfährt, stürmt sie, vor Wut schäumend, in den Unterricht. Dass diese Lehrerin sein literarisch-künstlerisches Talent erkennt, dass sie ihn, nachdem er ins Internat gesteckt wurde und dort ausgebrochen ist, heimlich bei sich aufnimmt und fördert, dass sie also das tut, wozu die Mutter nicht in der Lage ist, wirkt vielleicht ein wenig klischeehaft, hat sich nach Dolans Aussagen aber so (oder jedenfalls so ähnlich) wirklich zugetragen.

Im richtigen Leben hat Dolan dann ebenfalls die Schule abgebrochen, ist von zu Hause ausgezogen und hat versucht, "in einem dreckigen kleinen Apartment zu überleben". Er hat nicht nur dies geschafft, sondern auch den unglaublich schnellen Aufstieg zu einem selbstsicheren Regisseur, der mit eigener Handschrift inszeniert, außerhalb des Mainstreamkinos zwar, aber immens publikumswirksam. Und am Ende will er dann auch noch dem Maupassant-Zitat gerecht werden, das er seinem Film vorangestellt hat. Man liebe seine Mutter trotz allem, so der Schriftsteller, auch wenn es manchmal fast zu spät sei.

I killed my Mother. Kanada. 100 Minuten. Regie: Xavier Dolan. Mit: Xavier Dolan, Anne Dorval, Suzanne Clement. Ab 16 Jahren. Delphi