Wenn die Permafrostböden in der Arktis und in den Hochgebirgen schmelzen, können sie gigantische Mengen Treibhausgase freisetzen – und Infrastrukturen wie Pipelines gefährden, die auf dem weichen Grund nicht mehr standfest sein könnten.

Stuttgart/Doha - Das Auftauen des Permafrostbodens könnte dazu führen, dass durch weitere Freisetzung von Treibhausgasen die Erderwärmung verstärkt wird. Auch die wirtschaftlichen Folgen sind gravierend: Milliardeninvestitionen werden notwendig sein, um Schäden an Straßen, Gebäuden und Pipelines auf dem zunehmend instabilen Permafrostboden zu verhindern oder zu beseitigen. Politik und Klimawissenschaft müssen sich stärker mit den Folgen tauenden Permafrostbodens auseinandersetzen, fordert das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) in einer aktuellen Studie.

 

Das Unep legte am Dienstag am Rande der Weltklimakonferenz in Doha erstmals einen Bericht über den Zustand der Permafrostgebiete in der Arktis, Sibirien und in den Hochgebirgen vor. Darin werden die Auswirkungen des Klimawandels auf die dauerhaft gefrorenen Böden beschrieben. Politiker und Klimawissenschaftler müssten die Veränderungen in den Permafrostregionen stärker in die Klimadebatte einbeziehen, sagt der Mitautor der Studie und Permafrostexperte Hugues Lantuit vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. „Die Bedeutung des Permafrostes für das globale Klima und das Leben der Menschen in der Arktis und den Gebirgen ist zu lange vernachlässigt worden“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung.

Ein gigantischer Kohlenstoffspeicher

Die oberste Schicht von Permafrostböden taut im Sommer auf. Darunter beginnt der permanent gefrorene Boden. Bereits jetzt ist in den Regionen am Polarkreis zu sehen, dass der Boden tiefer auftaut und instabil wird und sich die Ökosysteme verändern. „Permafrost ist einer der Schlüssel für die Zukunft unseres Planeten, weil er große Mengen gefrorener organischer Materie enthält“, sagte Unep-Exekutivdirektor Achim Steiner bei der Vorlage des Berichts mit dem Titel „Policy Implications of Warming Permafrost“.

Denn die bis zu 1500 Meter tiefgefrorenen Böden gehören zu den größten Kohlenstoffspeichern der Erde. Geschätzt wird, dass sie meist in Form von Pflanzen- und Tierresten, die sich im Laufe von Jahrtausenden ablagerten und nicht verrotteten, rund 1700 Milliarden Tonnen organischen Kohlenstoff enthalten. Laut Unep und AWI ist dies zweimal so viel, wie sich jetzt in der Atmosphäre befindet. Taut der Untergrund aus Erde und Eis, bauen Bakterien und Mikroorganismen Tier- und Pflanzenreste ab und wandeln organisch gebundenen Kohlenstoff in die Treibhausgase Kohlendioxid oder Methan um, die wiederum Erderwärmung und weiteres Abtauen des Permafrostbodens fördern.

„Viele Klimamodelle berücksichtigen diesen Permafrost-Rückkopplungseffekt noch nicht“, sagt Lantuit. Sein Mitautor Kevin Schaefer vom US-amerikanischen National Snow and Ice Data Center an der Universität von Colorado unterstreicht: „Die Freisetzung von Kohlendioxid und Methan durch Erwärmung des Permafrosts ist unumkehrbar: Wenn die organische Materie auftaut und sich zersetzt, gibt es keinen Weg, sie wieder in den Permafrost zurückzuführen.“

Bis 2100 könnte auftauender Permafrost nach Berechnungen der Unep-Experten 43 bis 135 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent freisetzen. Dieser Prozess könnte in wenigen Jahrzehnten beginnen. Die globale Temperatur könnte bis 2100 um drei Grad steigen. Da sich die Arktis- und Hochgebirgsluft stärker erwärmt, könnte dies dort einen Zuwachs um sechs Grad bedeuten und zu einem „einen irreversiblen Verlust von 30 bis 85 Prozent des oberflächennahen Permafrosts“ führen. Permafrostemissionen könnten bis zu 39 Prozent der Gesamtemissionen ausmachen. Dies müsse bei Ausarbeitung eines Folgevertrags für das Kyoto-Protokoll berücksichtigt werden, meint Unep.

Folgen für Ökosystem und Infrastruktur

Das Tauen des Permafrosts wird Folgen für Ökosystem und Infrastruktur haben. Auf dem wasserundurchlässigen Permafrost bilden Schmelzwasser und Regen Seen und Feuchtgebiete, die Zugvögeln Lebensraum bieten. Seen und Tümpel können austrocknen, wenn der Boden auftaut. Andererseits wird der Boden zu weich für Karibus und Rentiere. Die Küstenerosion wird gefördert. Küstennahe Gemeinden und Kultstätten sind gefährdet. Gebäude, Straßen, Pipelines, Eisenbahnlinien verlieren den festen Boden. Der Bruch von Pipelines könnte verheerende Folgen für die Umwelt haben. Erwähnt wird das Leck in einer Ölpipeline in Nordrussland 1994, bei dem 160 000 Tonnen Öl ausliefen. Die Unep-Studie führt Schätzungen an, wonach allein in Alaska zusätzliche Kosten für Infrastrukturmaßnahmen von 6,1 Milliarde Dollar bis 2030 anfallen werden.

Die Wissenschaftler empfehlen den Ausbau des internationalen Netzwerks von Messstationen, um die Permafrosttemperatur und die Tiefe der Auftauschicht besser erfassen zu können, damit genauere Vorhersagen der Folgen des Rückgangs des Permafrosts möglich werden. Die Staaten, insbesondere die Länder mit den größten Permafrostgebieten – USA, Kanada, Russland und China – müssten verstärkt in diese Forschung investieren. Die am stärksten betroffenen Länder müssten Risiken, Schäden und Kosten eines großflächigen Tauprozesses abschätzen und Anpassungsstrategien entwickeln. „Jetzt ist die Zeit gekommen, dass auch die politischen Entscheidungsträger sich mit dieser Problematik auseinandersetzen und sie ernst nehmen“, erklärt Hugues Lantuit vom Alfred-Wegener-Institut.

Die Permafrost-Gebiete der Erde

Permafrost
Wissenschaftler definieren Permafrost als Boden, in dem die Temperatur mindestens zwei Jahre in Folge bei null Grad oder darunter liegt. Die oberste Schicht, die im Winter gefroren ist und im Sommer auftaut, wird „active layer“ oder Auftauschicht genannt. Unter dieser Schicht, die einige Zentimeter bis wenige Metern dick sein kann, beginnt der permanent gefrorene Boden. Wie tief er geht und wie kalt er wird, hängt von den geologischen und klimatischen Bedingungen ab. Die Dicke des Permafrosts kann mehr als 1500 Meter betragen. Bei Bohrungen in Sibirien wurde mit 1600 Meter die größte Tiefe erreicht, im arktischen Tiefland Sibiriens ist er 300 bis 400 Meter tief.

Zonen
Unterschieden wird zwischen Zonen kontinuierlichen Permafrosts, in denen 90 bis 100 Prozent des Untergrunds gefroren sind, diskontinuierlichen (50 bis 90 Prozent) und sporadischen Permafrosts (unter 50 Prozent). Zudem gibt es den isolierten Permafrost, sogar in Deutschland: ein etwa ein Quadratkilometer großes Permafrostgebiet auf der Zugspitze.

Ausdehnung
Geschätzt wird, dass etwa 25 Prozentder Landmasse der nördlichen Hemisphäre, 23 Millionen Quadratkilometer, Permafrostgebiete sind.