Es reicht nicht, dass sich demnächst die Staaten in Paris über das Klima reden – vielmehr sollte jeder selber etwas tun. So wie der Ingenieur Achim Kampker, der E-Autos baut.

Stuttgart - Die Idee war verrückt. Ein Auto bauen, einfach so? Sie entstand vor sechs Jahren an der Aachener RWTH, der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule, wo Achim Kampker, damals Lehrstuhlinhaber für Produktionsmanagement, ein Beispiel dafür suchte, wie ein Produkt in der Hälfte der üblichen Zeit entwickelt werden kann und zu einem Zehntel der sonst üblichen Investitionskosten. „Wir kamen auf die Elektromobilität“, erzählt Achim Kampker (39) in seinem modernen Büro in einem alten Backsteingemäuer in der Nachbarschaft zur Marmeladenfabrik Zentis in Aachen.

 

„Im 19. Jahrhundert dachten die Ingenieure an höher, schneller und weiter. Heute sollten sie sich in den Dienst der Nachhaltigkeit stellen. Wir müssen unsere Welt erhalten und schützen“, sagt Kampker. Ein Beitrag zum Klimaschutz wäre es, die Entwicklung von Elektroautos voranzutreiben. Sie waren damals, 2009, teuer und rar. Die Idee, an einer Universität mit einer Schar von Ingenieuren, Doktoranden und Studenten ein E-Auto unter dem Namen Streetscooter für Deutschland zu entwickeln, zu bauen und zu vermarkten, klingt heute noch verwegen. Das Sagen haben hierzulande einige wenige Autokonzerne. Sie stecken mehrere Hundert Millionen in die Entwicklung eines Autos. Der letzte kleine Autoproduzent in Deutschland, Karmann, ging vor ein paar Jahren Pleite. Wer sollte in diesem Umfeld ein Auto erfinden?

Scheitern wäre keine Schande

Natürlich habe es Bedenkenträger gegeben, erinnert sich Achim Kampker. Ein Argument habe gelautet, „wenn es funktionieren würde, hätte es schon jemand gemacht“. Aber Scheitern sei keine Schande, sagt der Professor. Im Gegenteil, man lerne aus Misserfolgen, auch die hätten einen Nährwert, was amerikanische Forscher längst verstanden hätten. Jeder Gründer in den USA habe doch locker drei Erfolge und Misserfolge hinter sich: „Man sollte keine Angst haben, etwas auszuprobieren.“ Kampker entwickelte einen Prototyp eines E-Autos für Kurzstrecken und gründete mit Günther Schuh die Firma Streetscooter. Bei der IAA 2011 schaute Kanzlerin Angela Merkel am Stand vorbei und munterte auf: „Gute Sache!Machen Sie weiter so!“

Heute rollen täglich sechs neue Streetscooter aus einer der drei Montagehallen auf dem Gelände des früheren Waggonbauers Talbot in Aachen, einen Steinwurf von Kampkers Büro entfernt. Es sind Fahrzeuge für Postzusteller. Gelb lackiert, knuffig im Design, eine Mischung aus VW-Caddy und Peugeot Bipper – eigentlich ganz hübsch. 200 fahren bereits auf den Straßen, vor allem in Bonn, wo die Post bis 2016 nur noch mit emissionsfreien Autos den Zustelldienst für Pakete und Briefe erledigen will. 300 Neuwagen sind noch in der Pipeline, sie sollen dieses Jahr ausgeliefert werden. Dazu passend wirbt die Post auf den Kastenwagen mit Bildern von Solaranlagen und Windrädern und dem Hinweis: „Natürlich naturgemäß. Dieses Fahrzeug fährt mit Elektroantrieb.“

Auftraggeber ist die Deutsche Post

Der Streetscooter wird im Auftrag der Deutschen Post gebaut. Der Briefvorstand Jürgen Gerdes war begeistert vom Prototyp des Autos, die Post kaufte das Start-Up-Unternehmen Streetscooter vor einem Jahr zu 100 Prozent auf. Ein „glücklicher Umstand“, sagt Kampker. Er ist nun Geschäftsführer der Firma mit ihren hundert Mitarbeitern. Und sein Lehrstuhl an der RWTH heißt inzwischen Production Engineering of E-Mobility Components – Lehrstuhl für Elektromobilproduktion.

Mittelfristig wolle die Post eine „signifikante Anzahl“ ihrer 35 000 Lieferwagen auf kohlendioxidfreien Antrieb umstellen, sagt Kampker. Der Streetscooter könnte dabei eine große Rolle spielen. Er ist bis zu 80 Stundenkilometer schnell, wiegt 1,5 Tonnen, hat eine Zuladung von 650 Kilo und eine Reichweite von 80 Kilometern. Das reicht im Postbetrieb. Denn jede Nacht parken die gelben Wagen im Betriebshof der Post, wo die Lithium-Ionen-Batterien aufgeladen werden. Zur günstigen Produktion trug bei, dass die Autobauer auf „Schnickschnack“ verzichteten. So fehlt etwa eine Klimaanlage, die in einem Postauto – täglich werden die Türen 200 mal geöffnet und geschlossen – ohnehin sinnlos wäre. Für den Winter gibt es eine Sitzheizung.

Ständige Verbesserungen

Der Wagen wurde in ständiger Abstimmung mit den Zustellern entwickelt, die ihre spezifischen Wünsche deutlich machten und deshalb das Auto heute als „ihres“ betrachteten, sagt Kampker. Zur Zeit wird an Verbesserungen gefeilt, im engen Austausch mit Postmitarbeitern. Die Karosserie wird auf Wunsch größerer Fahrer angepasst, der Blendschutz am Armaturenbrett verbessert. 80 mittelständische Unternehmen liefern die Bauteile für den Streetscooter, und wer eine der Montagehallen betritt, denkt sofort an eine Manufaktur. Die halbfertigen Wagen werden in einer U-förmigen Anordnung per Hand auf Rollwagen weitergeschoben, von den Seiten werden die Baukomponenten auf Bändern zugeführt und montiert. Achim Kampker spricht von einer „Fließmontage“.

Zum Erfolgsgeheimnis gibt der Ingenieur einige Stichworte: So ist das Auto von Anfang an als Elektrowagen konzipiert worden. Die Kleinserie erfordert keine große Automatisierung in der Fertigung, die Systembauweise ist kostengünstig. Bei der Entwicklung habe man nicht ewig in der „virtuellen Welt“ simuliert. „Wir haben das Auto bis zu einem bestimmten Reifegrad entwickelt, dann mit Hardware gebaut. So konnten wir rasch erkennen, was funktioniert und was nicht, und mit den Lieferanten Anpassungen vornehmen.“

Die Kosten sind ein Betriebsgeheimnis

Was der Wagen kostet, bleibt ein Betriebsgeheimnis. Das „Handelsblatt“ will erfahren haben, dass die Post die Zielmarke von 22 000 Euro gesetzt hat. Kampker sagt nur, dass die Kosten für Energie, Service und Anschaffung vergleichbar mit leichten Nutzfahrzeugen konventioneller Antriebsart seien. Die Klimabilanz des Streetscooters sei deutlich besser. Allerdings räumt er ein: „Unser wirtschaftliches Ziel haben wir noch nicht ganz erreicht.“ Mit neuer Technik, beispielsweise mit Festkörperbatterien, wie sie Bosch jüngst ankündigte, könnten die Kennzahlen erreicht werden.

Privat fährt Achim Kampker – Vater von vier Kindern – das Elektroauto eines anderen Herstellers. Denn den Streetscooter gibt es nur als Kastenwagen mit zwei Sitzen, an einen Privatverkauf ist nicht gedacht. Doch das Unternehmen könnte sich vorstellen, Kleinserien für den Werksverkehr, ambulante Dienste oder den Fuhrpark von Städten zu bauen. Auf die großen Mitbewerber schaut Kampker allerdings ohne Neid: „Egal ob BMW i3 oder i8 – ich freue mich über alles, was die Elektromobilität voranbringt.“

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Hinweis: Die StZ hat vor dem UN-Klimagipfel in Paris zehn Menschen porträtiert, die sich in unterschiedlichen Bereichen des Lebens für den Klimaschutz einsetzen. Alle Serienbeiträge finden Sie hier.

Forschung zur E-Mobilität

Noch braucht man ein Kabel, wenn man sein Elektrofahrzeug mit Strom „auftanken“ möchte. Doch das ließe sich ändern: Induktive Ladesysteme haben den Vorteil, dass man das Auto nur noch auf eine Ladebucht fahren muss. Physikalisch erfolgt die Ladung dann über ein Magnetfeld, das von einer Ladespule erzeugt wird, die im Parkplatzboden eingelassen ist. Von dort wird die Energie auf eine Empfängerspule am Unterboden des zu ladenden Autos übertragen. An der Uni Stuttgart wurde nun am Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrzeugwesen ein Assistenzsystem zur zentimetergenauen Positionierung des E-Autos entwickelt, weil nur so die Energieübertragung funktioniert. Es hilft dem Fahrer dabei, so einzuparken, dass Sender- und Empfängerspule exakt übereinander liegen.

Dies ist nur ein Beispiel, wie vielfältig derzeit am Thema Elektromobilität geforscht wird – auch in Stuttgart. Wobei die Landeshauptstadt im bundesweiten Vergleich ganz vorne mit dabei ist. Hier koordiniert e-mobil BW, die Landesagentur für Elektromobilität und Brennstoffzellentechnologie, die vielfältigen Aktivitäten in diesem Bereich. Im Vordergrund steht die Entwicklung von Mobilitätslösungen, die einen wichtigen Beitrag zur Energiewende und damit zum Klimaschutz leisten. Dies ist nur in Zusammenarbeit mit zahlreichen Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlicher Hand möglich. Hauptziel ist die Industrialisierung des Systems Elektromobilität und die Markteinführung praktikabler Alltagslösungen. Dies reicht weit über den Elektroantrieb im Auto oder Fahrrad hinaus, der etwa in Flottenversuchen mit E-Fahrzeugen erprobt wird. Vielmehr zählen auch komplexe Strukturen wie die intelligente Steuerung von Verkehrssystemen dazu. Mit ihrem übergreifenden Forschungs- und Förderungsansatz will die Landesagentur auch einen Beitrag zum Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Baden-Württemberg leisten. (Zusatzbeitrag von Klaus Zintz)