Mit Liebesgedichten zieht Nevfel Cumart Acht- und Neuntklässler der Körschtalschule in seinen Bann.

Plieningen - Die Glocke schrillt und läutet damit das Ende der großen Pause ein. Ein wenig gelangweilt schlurfen die Körschtalschüler der achten und neunten Jahrgangsstufe in den Musiksaal. Sie erwarte die Lesung eines Dichters, hatte die Lehrerin gesagt. Wie langweilig – zumindest, wenn man gerade mitten in der Pubertät steckt. Mit verschränkten Armen oder den Händen in den Hosentaschen nehmen die Plieninger Schüler Platz, hängen lässig auf ihren Stühlen. Auftritt Nevfel Cumart – es dauert keine fünf Minuten und der Dichter hat die Schüler für sich gewonnen. Sie hängen an seinen Lippen.

 

„An Schulen kann man noch was erreichen“, sagt Nevfel Cumart im Vorgespräch. Deshalb machen die Autorenlesungen für Schüler den größten Teil seiner Lesereisen aus. Am liebsten sitzt der 48-Jährige vor kleinen Gruppen. „Ich will mit den Schülern ins Gespräch kommen, sie locker abholen und keine trockene Veranstaltung machen“, sagt der Lyriker aus Bamberg. Er sei eben ein Dichter zum Anfassen.

Einer wie Du und Ich

Ali Öztürk würde er gerne heißen, sagt Nevfel Cumart gleich zu Beginn. Sein eigener Name sei so kompliziert, er werde immer falsch geschrieben. Die Jugendlichen horchen auf, lachen. Viele von ihnen haben auch einen Migrationshintergrund, kennen das Problem. „Wer von euch hat ausländische Eltern?“, fragt der Dichter, selbst Sohn türkischer Eltern. Zögerlich heben die Acht- und Neuntklässler die Arme. „Und wie viele Muslime sitzen hier?“ Wieder recken viele die Finger in die Luft.

Dann plaudert Nevfel Cumart noch ein wenig über sich. Im schleswig-holsteinischen Stade ist er aufgewachsen, hat zunächst eine Zimmermannslehre gemacht, dann Turkologie, Arabistik, Iranistik und Islamwissenschaften studiert. Das sei viel, aber Abschlüsse seien eben wichtig in Deutschland. „In Deutschland könnt ihr nicht mal angeln ohne einen Schein“, ruft Cumart seinem Publikum zu. Die Schüler lachen. Der Mann gefällt ihnen, sie sitzen aufrechter und hören gespannt zu.

Die Sprachhilfe Plieningen (siehe Infokasten) hat die Lesung am Mittwochmorgen organisiert. „Schüler an Gymnasien werden mit so vielen Veranstaltungen bedacht, das wollten wir den Hauptschülern auch mal ermöglichen“, sagt die Sprachhelferin Angelika Gerdon. Eingeladen hatte sie nicht nur die Sprachilfe-Schüler, sondern alle älteren Körschtalschüler.

Der Autor zieht sein Publikum in den Bann

Nefvel Cumart indes zückt das erste Buch – sein Publikum ist dafür jetzt bereit. Er hockt lässig auf dem Tisch vor der Tafel, setzt die Lesebrille auf, die um seinen Hals baumelt und beginnt mit vermeintlich schwerer Kost: ein Liebesgedicht, das er für seine erste Freundin geschrieben hat. Den Schülern gefällt es. Vor allem aber das, was der Dichter dazu erzählt. Sechs Jahre habe die Liebe gehalten, sie war jedoch immer eine heimliche. „Ihr Vater sagte, er wolle keinen Türkenlump im Haus haben“, erzählt Cumart. Betroffen schlagen die Schüler die Augen nieder. Einige kennen diese Vorurteile, andere denken an ihre erste Liebe. Dann prasseln die Fragen auf den Dichter los: „Haben Sie sie je wieder gesehen?“ – „Haben Sie sich wieder in sie verliebt?“ – „Macht es Ihrer Frau nichts aus, wenn sie mit ihrer Ex-Freundin telefonieren?“ – „Haben Sie Kinder?“ Nefvel Cumart hat den Zugang gefunden.

Das zweite Gedicht trifft ebenfalls den Nerv der Jugendlichen in seinem Publikum. Es heißt „Zwei Welten“ und ist das bekannteste Gedicht seiner 16 veröffentlichten Gedichtbände. „Mit 17 hatte ich Schwierigkeiten mit meinen Eltern, war in einer Identitätskrise, wusste nicht ob ich Türke oder Deutscher bin“, erzählt Cumart. „Wahrscheinlich habe ich deswegen geschrieben, vielleicht haben mich die Gedichte sogar gerettet“, sagt er. Die Schüler lauschen gespannt, als er erzählt und ihnen ein wenig aus der Seele spricht. Er liest das Gedicht – erst auf Deutsch, dann nochmal auf Türkisch. Er ist ein Dichter zum Anfassen, der beide Welten versteht.