Im Kreis aufgelesen: Süßes und Saures. Diese Woche müssen sich Kinder jede Menge anhören. Die Stadtbibliothek Sindelfingen ist aber endlich auf den Hund gekommen.

Sindelfingen - Der Besuch der Sindelfinger Delegation in Györ war ein Gedicht. Beim Buchsalon in der ungarischen Partnerstadt haben die Deutschen Fabelhaftes erlebt: „Es ist kaum zu glauben, wie groß das Interesse der Bevölkerung an deutscher Literatur ist“, berichten Brigitte Stegmaier, Gudrun Stauffer und Siegbert Hirsch von der Initiative Städtepartnerschaft. Die Menschen hätten sich geradezu auf die von ihnen mitgebrachten Bücher gestürzt – und zwar nicht nur die ältere Generation, sondern auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. „Die Bevölkerung ist begeistert!“, schwärmen sie hingerissen. Von einer solchen Leselust kann man hierzulande schließlich nur träumen.

 

Anziehungspunkte fürs Lesen

In Deutschland müssen Anziehungspunkte wie der Musiker Peter Maffay oder der Ex-Fußballer Thomas Hitzlsperger aufgeboten werden, um Begeisterung für Buchstaben zu wecken. Mehr als 70 000 des Alphabets mächtige Menschen schickt die Stiftung Lesen am Freitag, 21. November, bundesweit bei ihrem Vorlesetag dafür ins Rennen. Das klingt prinzipiell nach einer schönen Geschichte. Böse Hexen behaupten allerdings, dass die Aktion vor allem für Politiker eine Märchenstunde ist. Dieses Jahr setzen sich dabei auch die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier in Szene. Und im Kreis Böblingen schlagen zwei Landtagsabgeordnete auf.

Es ist ein Bild wie an Nikolaus: Buben und Mädchen schauen mit großen Augen zu einer älteren Herrschaft auf, auf deren Schoß ein dickes Buch ruht. Eine solche Kulisse gibt es in der Wirklichkeit der Politiker ansonsten selten: Sie stellen zur Abwechslung nicht den Buhmann, sondern den lieben Onkel dar. Der Vorleser wirkt kompetent (er kann lesen) und volkstümlich (er wird verstanden), wenn es gut läuft, auch nett (die Kinder klettern ihm auf den Schoß) und souverän (er setzt sie wieder auf den Boden). In jedem Fall gibt es sympathische Fotos und das auch noch für einen guten Zweck. Den Förderunterricht nimmt dieses Jahr im Landkreis vor allem Grün-Rot wahr. Das liegt wohl daran, dass die Landesregierung eine Schwäche hat – bei den Zahlen der jüngsten Meinungsumfrage. Bernd Murschel tut dies in der Herrenberger Pfalzgraf-Rudolf-Schule und Florian Wahl in der Sindelfinger Eichholzschule. Immerhin müssen der Grüne und der Sozialdemokrat kein böses Ende fürchten, denn im Klassenzimmer reden sie anders als im Parlament nicht vor lichten Reihen – der Schulpflicht sei dank.

Eine tierische Leseförderung

Um künftig mit den jungen Ungarn mithalten zu können, sollte die Stiftung Lesen ihren Zuhörern aber andere Protagonisten vorführen. Die Stadtbibliothek Sindelfingen ist zum Beispiel auf den Hund gekommen: Neuerdings dürfen Kinder mit Leseschwäche dort einem Hund vorlesen, denn der hört einfach nur zu. Hunde hätten eine positive Auswirkung auf die Psyche und das Lernverhalten von Kindern, heißt es in der Mitteilung zu der tierischen Leseförderung. „Sie senken Stress, helfen, aus sich herauszugehen, und machen einfach Freude“, schreibt die Bücherei. Das klingt so gar nicht nach Politiker.