Der über Hochmut und eigene Fehler gestürzte Guttenberg ist öffentlichkeitskrank – meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Ein Abend in der Stuttgarter Reithalle im Juni 2009. Die Bosch-Stiftung hat zum Vortrag geladen. Auf dem Podium steht der frisch zum Bundeswirtschaftsminister gekürte Karl-Theodor zu Guttenberg - ein politischer Star. Über Verantwortung in der sozialen Marktwirtschaft wird er sprechen. Doch was er sagt, reißt niemanden hin. Fast bescheiden klingt sein Bekenntnis, die eigenen Grenzen zu erkennen und die Politik als Dienstleistung ansehen zu wollen. Bravo junger Mann. Mal sehn, wie lange das hält.

 

Ein Ministeramt weiter und nach dem tiefsten nur denkbaren Absturz haben wir einen anderen Menschen vor uns. Inzwischen ist Karl-Theodor zu Guttenberg der geradezu exemplarische Fall eines gefallenen Engels - wie man zu Bonner Zeiten einen aus dem Amt gekippten Spitzenpolitiker nannte. Von solchen Erfahrungen haben sich nur wenige wieder erholt. Allemal ging der Abschied von der Macht und der Verlust der Zuwendung eines großen Publikums nicht ohne tiefgreifende Beschädigungen ab.

Von Großtaten keine Spur

Denken wir nur an Franz Josef Strauß. Natürlich war er schon vor der "Spiegel"-Affäre, die ihn aus dem Amt des Verteidigungsministers katapultierte, ein schwieriger Charakter. Unbeherrscht. Machtbesessen. Ohne Augenmaß. Voller Widersprüche. Nach dem Verlust der Macht zeigte er sich zunehmend paranoid. Er war nicht mehr derselbe. Auch KTG hat offenkundig Schaden genommen an seiner Seele. Und wem könnte es anders ergehen? Erst wurde er als politisches Wunderkind gefeiert, als ein Besonderer, Unverbrauchter unter lauter Abgenutzten, als Hoffnungsträger und nicht zuletzt: als Gefahr für Horst Seehofer wie für die Bundeskanzlerin.

Das Prinzenhafte, die feine Familie, das Schloss und der Reichtum im Hintergrund verliehen ihm einen Glanz, den er bei genauerem Hinschauen gar nicht hatte. Von Großtaten keine Spur. Da war nicht mehr als die Ankündigung eines Rücktritts, im Falle dass Opel mit Steuergeldern gestützt würde. Und später, nachdem er zum Verteidigungsminister aufgerückt war, kam nur der Hinweis, in Afghanistan herrschten kriegsähnliche Zustände. Da waren alle baff, und schon stand der Jungspund für Mut und für Wahrheit. Das sah er wohl auch so und breitete in New York auf dem Time Square - was kostet die Welt? - im Siegesrausch die Arme aus. Ein erstes Zeichen, dass ihm - wie weiland Strauß - das rechte Maß fehlte.

Leiden an mangelnder Aufmerksamkeit

Dann sah man ihn schwanken, als er den Luftschlag bei Kundus mal als angemessen, mal als unangemessen einordnete. Alles verdammt schnell, so wie er Wolfgang Schneiderhan und Peter Wichert, seine Berater, ruck, zuck rausschmiss. Bald fiel auch der Kapitän der Gorch Fock seinem Entlassungseifer zum Opfer, wiederum mit einem Schuss aus der Hüfte. KTG, der Überirdische, der Allmächtige, der beliebteste Politiker, hingerissen von sich selbst. Das hätte auffallen können. Schließlich der unsägliche Familienausflug mit dem bleichen Mondgesicht Johannes B. Kerner nach Afghanistan, wo andere junge Männer sterben müssen und wo sich der junge Herr von und zu Guttenberg als Chefunterhalter vom Cheftalker feiern ließ. Das war an Geschmacklosigkeit und Stillosigkeit nicht zu überbieten. Lauter Alarmsignale dafür, dass dieser Mann nicht mehr im Gleichgewicht war. Es wurde nicht wahrgenommen.

Erst die Plagiatsaffäre riss ihn vom Sockel, und KTG stürzte mindestens so tief wie einst FJS. Letzterer kehrte später in der Rolle des Finanzministers zurück. Auch unser junger Held, gerade mal acht Monate nach seinem Abschied, steht schon wieder auf der Matte und trappelt ungeduldig mit den Hufen: als Gesprächspartner von Giovanni di Lorenzo, dem Chefredakteur der "Zeit", in einem Buch und in seitenlangen Zeitungsausschnitten, außerdem als Kritiker seiner Partei und natürlich als unschuldig Verfolgter. Schrecklich leid tut er sich, fühlt sich schwer gezeichnet und tief erschüttert, zumal doch alles, was ihm vorgeworfen wird, mehr oder minder zufällig und ganz ohne Absicht geschehen sei. Er ist nur Opfer einer Nachlässigkeit, auf alle Fälle ein ganz anderer als dieser Geschasste, was man nicht nur an seinen Worten, sondern auch an seiner lockeren Frisur und am brillenlosen Blick erkennen soll. KTG wartet auf Erlösung.

Karl-Theodor zu Guttenberg wartet auf Errettung von seiner unbefriedigten Ruhmsucht, vom unendlichen Leiden an mangelnder Aufmerksamkeit. KTG ist öffentlichkeitskrank. Und Herrgott noch mal, das ist doch auch nicht auszuhalten, drüben auf der anderen Seite des Großen Teichs, wo ihn kein Schwein kennt und niemand bewundern mag. Da kann er jetzt noch so lange auf dem Time Square herumstehen und die Arme ausbreiten. Die Kameras lieben ihn nicht mehr. Welch grausames, welch schmerzhaftes, welch - im Falle des Falles - typisches Politikergeschick. Der feine Herr wird es freilich weiter ertragen, wird von seinem gutten Berg noch für längere Zeit herabsteigen und ein bisschen Patina ansetzen müssen. Danach schaun wir mal. Und dann sehn wir schon.