Man kann Unterschriften sammeln gegen Flüchtlinge. Man kann sich aber auch engagieren, damit die Probleme, die andere befürchten, gar nicht erst entstehen. Das nennt man dann Willkommenskultur.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Sagen Sie nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt. Aber in den nächsten Zeilen steckt eine gehörige Portion Gutmenschentum. Denn es geht um Willkommenskultur. Die ist mächtig in Verruf geraten. Das Wort war mal schön und stand für Herzlichkeit. Es hatte etwas von bunten Fähnchen, Umarmungen und Gugelhupf, obwohl es so ganz anders klingt. So neudeutsch. Für manche auch zu sozialpädagogisch. Sie fragen sich, was in diesen Tagen so anders sein soll als früher. Denn dass man einen Gast willkommen heißt, das ist eigentlich Altväter Sitte. Und so kramen sie ihr rudimentäres Schulenglisch hervor. Sie nutzen Hände, Herz und Restvokabular, um den Flüchtlingen in ihrer Nachbarschaft zu helfen.

 

Sie nehmen in Kauf, naiv genannt zu werden

Den Begriff Willkommenskultur nutzen sie nicht. Sie leben ihn lieber und sind gerne und freiwillig Gutmenschen. Ihnen ist ihre Zeit zu schade, um sie mit dem Sammeln von Unterschriften gegen Heime für Asylbewerber in ihrer Nachbarschaft zu vergeuden. Stattdessen telefonieren sie mit der zuständigen Betreuerin im Landratsamt, um herauszufinden, wie es mit dem Praktikumsplatz für den jungen Syrer weitergehen kann, der ihnen nach ein paar Wochen schon so ans Herz gewachsen ist, dass sie für seine Zukunft kämpfen wie ein Löwenmutter für ihr Junges. Sie nehmen in Kauf, dass manche sie blauäugig und naiv schimpfen – manchmal sogar ihre Freunde.

Kleine Bollwerke im Alltag

Das hält sie nicht davon ab, ganz praktisch zu helfen. Und manchmal sind sie dabei ziemlich glücklich. Wenn sie etwa am Valentinstag Pralinen als Dank für ihre Hilfe bekommen. Von einem, vor dem sich die anderen fürchten, ohne ihn je kennengelernt zu haben. Von einem der vielen jungen arabischen Männer, die man gerne pauschal in eine Schublade packt.

Quer durch den Landkreis sind Gutmenschen wie sie Trutzburgen gegen die Gleichgültigkeit und die aufkommende Ablehnung der Fremden. Kleine Bollwerke im Alltag, die sich berühren lassen, die Menschen als Menschen sehen und nicht als Nummer in der Unterbringungsquote. So geschehen auch am Sonntag im Ludwigsburger Scala. Beim Musical „X-Press“ standen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zusammen mit Flüchtlingen, die in der Turnhalle auf dem Römerhügel leben, auf der Bühne. Sie tanzten und sangen. Und keiner hat Schaden genommen. Trotz der vielen jungen arabischen Männer. Im Gegenteil. In diesem Moment waren Quoten, Grenzen und Herkunft unwichtig. Wir wissen: Gutmenschentum. Aber wir hatten Sie ja gewarnt!