Die rechtsradikalen Ausschreitungen in Heidenau offenbaren eine Lähmung der Sicherheitsbehörden. Die Bundesregierung müsse in der Flüchtlingsfrage endlich klar und entschlossen handeln, fordert der StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Ist der Staat mit dem Ansturm der Flüchtlinge überfordert? Muss die Politik mehr Entschlossenheit zeigen? Die rassistischen Ausschreitungen von Heidenau offenbaren jedenfalls eine Lähmung der Sicherheitsbehörden. Wie kann es sein, dass die Neuankömmlinge in zwei Nächten bedroht werden und Polizisten zu Schaden kommen? Dass erst jetzt eine Sicherheitszone errichtet wird? Auf die Aggression lässt sich nicht nur mit wohlgesetzten Worten reagieren – der Staat muss von vorneherein alle Vorkehrungen treffen, um die Neuankömmlinge zu schützen.

 

Der Mob von Heidenau kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Deutschen den Flüchtlingen positiv gegenüberstehen. Der aktuellsten Umfrage zufolge halten 60 Prozent der Bürger die Belastung für verkraftbar – Deutschland könne auch in dieser großen Zahl Hilfesuchende aufnehmen. Dies ist eine ermutigende Zahl, zumal der Anteil der positiv eingestellten Befragten zunimmt – trotz oder gerade wegen der verstörenden Bilder aus dem Mittelmeer, vom Balkan und eben aus Sachsen. Doch wie lange kann die Politik auf den Rückhalt in der Bevölkerung zählen? Diverse Bundesminister verfallen auf unzählige Aktivitäten – bis hin zur Reaktivierung pensionierter Beamter und zur Versetzung von Zöllnern, damit Asylanträge zügiger bearbeitet werden. Das wirkt zum Teil bemüht und wenig effektiv. So bleibt der Befund, dass es Bund und Ländern an einem Konzept mangelt, wie der Ansturm in geordnete Bahnen gelenkt werden kann.

Die Solidarität ist gefährdet

Die Völkerwanderung wird weitergehen. Immer mehr Notleidende fühlen sich ermutigt, den riskanten Weg nach Westeuropa auf sich zu nehmen. Die Staaten im Süden und Südosten Europas halten sie nicht auf. Warum sollten sie, wo die EU sie mit den Problemen allein lässt? Auch in Deutschland ist die Solidarität gefährdet: Die Hilferufe der Städte und Gemeinden werden eindringlicher. Sie fühlen sich von Ad-hoc-Zuweisungen der Länder überrollt und finanziell im Stich gelassen. Viele Milliarden Euro werden in den nächsten Jahren von den Kommunen aufzubringen sein. Unter diesen Umständen muss Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble von seiner strikten Sparpolitik abrücken und die Kommunen direkt unterstützen, selbst wenn dies das Haushaltsziel der Nullverschuldung gefährden sollte. Da darf es kein langes Geschacher geben. Die Zeit drängt. Der für den 24. September geplante Flüchtlingsgipfel kommt ohnehin viel zu spät.

Auch die Kanzlerin bleibt wieder einmal merkwürdig still. Kein klares Wort von Angela Merkel etwa zum Gewaltexzess in Sachsen, obwohl sich offenbar auch bisher unbescholtene Bürger daran beteiligen. Das ist das Reservoir, aus dem die rechtsradikalen Parteien schöpfen können. Somit bräuchte es eine klare Ansage, wo sie in dieser Frage steht – auf der Seite der Fremden nämlich, die nach der Flucht eine Atempause ohne Angst vor Übergriffen verdienen. Die vielfach demonstrierte Willkommenskultur ist ein fragiles Fundament – die Regierung darf sie nicht verspielen.