Frankreich steckt ökonomisch wie politisch in der Krise. Es braucht jetzt Partner, die nicht nur kritisieren, sondern ehrlich helfen wollen, kommentiert Axel Veiel.

Paris - Säße man in der Comédie Francaise, man hätte seine Freude an diesem Stück. Einer dieser klassischen Tragödien scheint man beizuwohnen, die unaufhaltsam einem verhängnisvollen Ende entgegenstreben. Als Hauptdarsteller glänzt Nicolas Sarkozy, Ex-Präsident. Nach 28 Monaten mühevollen politischen Stillhaltens ist er auf die Bühne zurückgekehrt, in die Rolle des Retters der Nation geschlüpft, die ja im Würgegriff von Schuldenkrise, Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Stagnation der Rettung auch dringend bedarf. In einer Nebenrolle ist Manuel Valls als Pariser Regierungschef zu bewundern, der Berlin und Brüssel von der Spar- und Reformfreudigkeit der Franzosen zu überzeugen versucht.

 

Mit ihr ist es, der Zuschauer weiß es, nicht weit her. Und er ahnt: das kann böse enden. Denn der als Retter auf die Bühne zurückgekehrte Sarkozy mag zwar in einem ersten Akt den Vorsitz der ausgezehrten rechtsbürgerlichen UMP erobern, womit Frankreich endlich wieder eine Opposition hätte, die diesen Namen auch verdient. Doch der Heißsporn, der ein halbes Dutzend strafrechtliche Ermittlungsverfahren am Hals hat, taugt kaum dazu, das wenig reform-, aber allzeit protestbereite Volk zu einen und als Staatspräsident zu neuen Ufern zu führen.

Eine Zerstörung des Euro ist nicht auszuschließen

Valls wiederum würde als überzeugter Sozialdemokrat sicherlich gern tun, was zur Rettung des Vaterlands vonnöten ist: die 35-Stunden-Woche abschaffen, das arbeitsrechtliche Dickicht lichten, das Sozialsystem umkrempeln, es von historisch gewachsenen, nicht mehr finanzierbaren Auswüchsen befreien. Doch dem Premier sind die Hände gebunden. Sein Vorgesetzter, Staatschef François Hollande, zieht nicht mit. Die Genossen in der Nationalversammlung tun es auch nicht.

Leider ist das alles aber nicht Bühnenkunst, sondern dramatische Wirklichkeit. Und so kann man sich an diesem Spektakel nicht ergötzen, und, was viel schlimmer ist, man kann das Theater auch nicht einfach verlassen. Das erneute Aufkündigen des für 2015 versprochenen Defizitziels von drei Prozent, Frankreichs sich weiter auftürmender, bereits 97 Prozent des jährlich Erwirtschafteten erreichender Schuldenberg bedroht Europa. Sollte die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der EU der Lage nicht Herr werden, ist eine zweite europäische Finanzkrise, ja die Zerstörung des Euro nicht auszuschließen.

Die guten Ansätze sollten nicht übersehen werden

Mit Lamentos und Buhrufen ist es deshalb nicht getan. Vielmehr gilt es, jede noch so geringe Chance zu nutzen, um dem Drama eine neue Wendung zu geben. Gute Ansätze gab und gibt es in der französischen Politik nämlich auch. So hat Sarkozy als Staatschef das Renteneinstiegsalter von 62 auf 60 Jahre herabgesetzt. Hollande wiederum hat Anfang des Jahres beschlossen, die von Vorschriften- und Abgabendickicht eingeengte französische Wirtschaft um insgesamt 41 Milliarden Euro zu entlasten. Dies zu würdigen, Paris zugleich zu weiteren Schritten zu ermutigen, darum geht es. Beim Besuch des französischen Ministerpräsidenten hat die Bundeskanzlerin am Montag beides getan. Angela Merkel hat dem Gast Rückendeckung gegeben, Frankreichs Reformprogramm gar als „anspruchsvoll und ambitioniert“ gelobt.

Eile ist geboten. Die Alarmzeichen mehren sich. In dem Ausmaß, in dem Hollandes ohnehin nie große Führungsstärke schwindet, nehmen die Proteste im Lande zu. Nicht zu vergessen die Sirenengesänge Marine Le Pens. Die Chefin des rechtspopulistischen Front National suggeriert, Frankreich könne sein Heil im Alleingang finden, müsse nur Schlagbäume und Zollschranken hochziehen. Als würde Abschottung das Land nicht geradewegs in den Ruin führen. So groß die Enttäuschung über Hollande oder Sarkozy auch sein mag: wenn überhaupt jemand Frankreich aus der Krise führt, dann einer der beiden.