Jetzt hat es ihn selbst getroffen: Günter Wallraff in einer neuen Rolle, nicht als maskierter Entlarver so­zialer Missstände, sondern als ihr bloß­gestellter Produzent. Der Vorwurf von Sozialhilfe­be­trug und Steuerhinterziehung steht im Raum. Ein Kommentar von Stefan Kister.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Jetzt hat es ihn selbst getroffen: Günter Wallraff in einer neuen Rolle, nicht als maskierter Entlarver sozialer Missstände, sondern als ihr bloßgestellter Produzent. Der Vorwurf von Sozialhilfebetrug und Steuerhinterziehung steht im Raum. Er soll einem ehemaligen Mitarbeiter die Bezahlung vorenthalten und keine Sozialabgaben für ihn gezahlt haben. Und alles frohlockt, allen voran die Springer-Presse: „Wallraff – ein Fall für den Staatsanwalt“.

 

Die größten Kritiker der Elche sind am Ende selber welche, so hätte es mancher gerne. Aber ist damit die Glaubwürdigkeit des Wallraff’schen Enthüllungswerks erschüttert? Schwer zu sagen, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, wer dieser Günter Wallraff wirklich ist. Aber genau darauf beruhte sein Prinzip: immer ein anderer zu sein. Was ihm dabei widerfuhr, konnte allen passieren. Und es waren unhaltbare Zustände, die er als Türke Ali, als Callcentersklave oder verheizt in einer Großbäckerei zum Vorschein brachte.

Keine moralische Autorität

Wallraff ist keine moralische Autorität, sondern eine Methode. Genau genommen haben seine Bücher weder er noch irgendwelche halboffenbaren Ghostwriter geschrieben, sondern die Wirklichkeit, eine anfechtbare, schlimme und überaus konkrete Wirklichkeit. Darin liegt der Wert seiner Bücher. Wallraff selbst war nur ihr überaus wandelbares Medium. Darin liegt sein Verdienst. Dass die Person Wallraff nun selbst, wie es so schön heißt, „gewallrafft“ wurde, dass sein Mitarbeiter mit Innenansichten aus Wallraffs Welt an die Öffentlichkeit geht, ist insofern nur konsequent. Über die Qualität seiner Undercover-Recherche werden die staatsanwaltlichen Ermittlungen befinden. Ist an den erhobenen Vorwürfen etwas daran, spricht dies für die Methode, falls nicht, umso besser für Wallraff als Person.

Seine eigenen Erkundungen der unmenschlichen Bedingungen globalisierter Arbeitswelten erwiesen sich bisher jedenfalls als triftig. Deshalb ist unter den erhobenen Bezichtigungen jene am heikelsten, er habe, um die Missstände in einer Großbäckerei zu dokumentieren, gefälschte eidesstattliche Erklärungen verwendet. Sollte sich dies so bestätigen, wäre in der Tat der moralische Anspruch von Wallraffs investigativem Einsatz gefährdet. Der Mann, der bei „Bild“ Hans Esser war, müsste sich dann dem Vorwurf stellen, in bester Boulevardmanier agiert zu haben.

Allerdings sollte man nicht vergessen, dass zu dem kritischen Phänomen Wallraff die in regelmäßigen Abständen erfolgenden Versuche zu seiner Diskreditierung gehören. Bisher galt auch für seine Kritiker der Satz: die größten Kritiker der Elche . . .