Die Geldleistungen für Asylbewerber in Deutschland verstoßen gegen das Grundgesetz. Das Existenzminimum ist kein Recht nur für Deutsche, kommentiert StZ-Redakteur Stefan Geiger.

Stuttgart - Elementare Menschenrechte gibt es nicht gratis. Sie haben ihren Preis, auch wenn der sich meist nicht in Euro und Cent messen lässt. Manchmal aber schon. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz wird es beweisen. Es wird Deutschland noch teuer zu stehen kommen.

 

Die Behandlung von Asylbewerbern und anderen Flüchtlingen, die in Deutschland nur geduldet werden, ist nicht nur schäbig, sie ist bisher offenkundig menschenrechtswidrig. Das wusste jeder, der sich mit diesem Thema befasst hat. Aber nur wenige haben es getan. Die Leistungen für Asylbewerber waren bereits 1993, als sie festgesetzt wurden, zu niedrig. Der Gesetzgeber hatte sich verpflichtet, sie jährlich anzupassen. Aber er hat es nie getan. Allein dies ist schon ein Skandal. Aber nur wenige haben sich daran gestört. Die Opfer hatten keine Stimme. Und die Hilfsorganisationen, die sich für sie eingesetzt haben, hat man nicht ernst genommen.

Bei Erwachsenen werden die Zahlungen um 50 Prozent erhöht

Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt die Zahlungen, die den Flüchtlingen zustehen, massiv erhöht: bei Erwachsenen um 50 Prozent, bei Kindern und Jugendlichen um überschlägig 30 Prozent. Die Anordnung gilt zwar nur für eine Übergangszeit, aber der Gesetzgeber kann in der Praxis hinter diese Größenordnung nicht mehr zurück. Das Gericht behandelt Flüchtlinge ähnlich wie Hartz-IV-Empfänger. Das wird vielen missfallen. Aber es ist eine richtige Entscheidung. Denn das Existenzminimum ist ein Menschenrecht, kein Deutschenrecht. In der Theorie ist das unstrittig. Das Verfassungsgericht konnte gar nicht anders entscheiden. Die Politiker wollten es nur nicht wahrhaben.

Die Folgen werden gravierend sein. Das liegt zum kleinsten Teil daran, dass nun überschlägig 150 000 Flüchtlinge, die in Deutschland leben, Anspruch auf höhere Leistungen haben. Die Unterstützung dieser Menschen kann sich ein Land wie die Bundesrepublik, das die Banken gerade mit Milliardenbürgschaften stützt, ohne Probleme leisten. Die Entscheidung wird sich aber rasch auch in fernen Ländern herumsprechen. Die Sogwirkung, die Deutschland auf die Flüchtlingsströme ausübt, wird sich massiv verstärken. Vor allem die Wanderungsbewegungen der Flüchtlinge innerhalb der EU werden zunehmen.

Deutschland hat die Probleme bisher auf andere abgewälzt

Das liegt nicht etwa daran, dass wir zu großzügig wären. Die Zustände in anderen Staaten der EU sind für die Flüchtlinge unerträglich. Das ist der tiefere Grund. Asylbewerber vegetieren dort nicht nur weit unterhalb des Existenzminimums, viele von ihnen sind obdachlos, abgeschnitten von medizinischer Versorgung, ohne jede Unterstützung und von Kriminalität, auch staatlicher Gewalt bedroht. Griechenland ist ein Beispiel dafür, Italien ein anderes. Die Zustände im Süden Europas sind deshalb so desaströs, weil diese Länder, anders als wir, mit der Masse von Flüchtlingen völlig überfordert sind. Deutschland hat die Probleme der und die Probleme mit den Flüchtlingen auf andere abgewälzt und bisher bequem gelebt. Das wird sich ändern.

Der Druck kann auch heilsam sein. Es wird nämlich nicht genügen, dass die Politik die Karlsruher Vorgaben nachvollzieht. Die europäische Flüchtlingspolitik muss neu austariert, der Druck auf die Staaten im Süden Europas ein bisschen gemildert werden. Es wird auch nicht mehr ausreichen, dass Deutschland viel Geld in die Überwachung ferner europäischer Außengrenzen und in die Abschreckung der Flüchtlinge investiert. Das Geld, das genutzt wird, um die Ursachen der großen Fluchtbewegung, nämlich die Armut in den Ursprungsländern zu mildern, wäre gut angelegt. Migration lässt sich nicht verbieten. Langfristig wird sich das Problem erst dann mildern, wenn das Existenzminimum hier, die 112 Euro, die nun mehr gezahlt werden, dort kein Vermögen mehr sind. Auch das weiß längst jeder, der sich darum kümmert.