Wie sollte die Staatengemeinschaft auf den mutmaßlichen Einsatz von Nervengas in Syrien reagieren? Sie zögert. Vor allem Russland und die USA müssen jetzt über ihren Schatten springen und sich einigen, meint der StZ-Redakteur Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Es wird noch viel mehr Tote in Syrien geben. Die Erkenntnis macht einen traurig und wütend, sie ist bestürzend, auch beschämend, weil sie die eigene Machtlosigkeit vor Augen führt. Das ist schrecklich, doch es deuten derzeit nicht einmal kleinste Anzeichen darauf hin, dass sich in absehbarer Zeit etwas daran ändert.

 

Der syrische Bürgerkrieg hat an Grausamkeit noch einmal zugenommen. Die Bilder der Menschen, die augenscheinlich Opfer von Gasattacken geworden sind, haben gezeigt, dass selbst das größte Elend steigerbar ist. Der syrische Bürgerkrieg ist in weiten Teilen auch zu einem Konflikt geworden, bei dem nicht-syrische Kräfte auf syrischem Territorium ihre Interessen mit Kalaschnikows und Panzerfäusten vertreten. Und all die Kriegsstrategen, die derzeit über Flugverbotszonen diskutieren, über die Bewaffnung der Rebellen oder andere Eingriffsmöglichkeiten, sie müssen eingestehen: das Sterben wird nicht enden, wenn noch ein weiterer Akteur das syrische Schlachtfeld betritt. Vielleicht ist so die Zurückhaltung in Washington zu erklären, das rote Linien zwar aufgezeigt hat, nun aber zögert, deren Überschreitung festzustellen. Man hat gebrüllt, gedroht und müsste nun springen. Doch weil dieser Sprung das Zeug hat, die ganze Angelegenheit weiter zu verkomplizieren, zögern die USA. So groß der Wunsch ist, dem Treiben Einhalt zu gebieten, so groß ist die Gefahr, dass alles noch viel schlimmer wird. Dass auf Seiten der Rebellen inzwischen die Islamisten die Oberhand gewonnen haben, macht die Abwägung nicht leichter.

Vor nicht allzu langer Zeit galt Assad noch als Guter

Es ist sehr viel einfacher in diesem Konflikt zu erklären, was alles nicht getan werden darf, als einen positiven Lösungsansatz aufzuzeigen. Es ist sehr viel einfacher Fragen zu stellen, als Antworten zu geben. Zwei Dinge stehen allerdings fest, die aus den Augen geraten sind. Da ist zum einen das amerikanisch-russische Verhältnis, denn wie auch immer eine Lösung in Syrien einmal aussehen soll, ohne die Zusammenarbeit von Washington und Moskau wird es nicht gehen. Und da ist der Umgang mit anderen Ländern (nicht nur) in der Region, wobei es gilt, die Fehler der Vergangenheit wenigstens in der Zukunft zu vermeiden.

Einigkeit zwischen den USA und Russland bedeutet nicht automatisch das Ende des Konflikts in Syrien. Aber solange Moskau dem syrischen Diktator die Treue hält und die USA überzeugt davon sind, dass Assad nicht länger der wahre Vertreter syrischer Interessen ist, so lange wird es keine Lösung geben. Es ist daher doppelt bitter, dass Barack Obama und Wladimir Putin so gar keinen gemeinsamen Gesprächsfaden mehr haben. Es wäre mehr als überfällig, dass diese beiden Staatenlenker sich ihrer staatsmännischen Pflichten besinnen. Beide werden Kompromisse machen müssen, aber ohne diese geht es nicht. Die üble Situation ist vielmehr steigerbar: Es wäre völlig verheerend, wenn sich die amerikanisch-russische Uneinigkeit vom diplomatischen Parkett auf das Schlachtfeld übertrüge, wenn sich die Menschen in Syrien mit frisch gelieferten, hochmodernen Waffen der Supermächte umbrächten oder wenn sich, durch den aktiven Einsatz der USA animiert, Unterstützer Assads berufen fühlten, eigene Truppen zu schicken.

Zudem muss der Blick in die Zukunft schon jetzt weit über Syrien hinausreichen. Es ist ja noch gar nicht so lange her, da galt Baschar al-Assad als ein Guter unter den Staatenlenkern in der Region, als ein Mann, der nicht nur die christliche Minderheit in seinem Staate schützte und ein prosperierendes Land regierte. Das hat sich geändert. Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein angeblicher Paulus zum Saulus gewandelt hat. Es wird nicht das letzte Mal sein. Das muss man im Hinterkopf behalten – zum Beispiel dann, wenn es um Raketen und Kampfjets geht, die nach Saudi-Arabien verkauft werden, oder um Leopard-Panzer für das Emirat Katar.