Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

So tut sich ein bizarres Ungleichgewicht auf: Auf der einen Seite kommt die Mammutgewerkschaft Verdi im öffentlichen Dienst nur mühsam voran, weil sie mit ihren Protesten wenig öffentliche Wahrnehmung erzielt und den Ländern kaum wehtun kann. Auf der anderen Seite vermag eine kleine Funktionselite der Lokführer mit nicht einmal tausend Streikenden den Verkehrsfluss in der Republik zu lähmen.

 

Kaum eine andere Berufsgruppe hat so viel Einfluss. Dennoch dürfte die GdL weitere Spezialistenverbände ermutigen, sich vom Gewerkschaftsbund loszusagen und auf eigene Faust in den Kampf zu ziehen. Das Bundesarbeitsgericht hat ihnen grünes Licht gegeben. Es stützt den an sich sinnvollen Pluralitätsgedanken, wonach immer differenziertere Bedingungen der Arbeitswelt von unterschiedlichen Organisationen ausgehandelt werden sollen. Ein langer Egotripp der Lokführer hingegen bestätigt all jene, die eine Erosion der Tariflandschaft und Chaos in den Betrieben befürchten.

Die Arbeitgebervereinigung und der Gewerkschaftsbund wollen den Grundsatz "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag" wiederhergestellt sehen. Die Bundesregierung verhält sich bisher fast neutral und zögert ihre Entscheidung über ein neues Gesetz hinaus. Der Streik der GdL bringt sie in Zugzwang. Er gibt jenen Kräften der Koalition beste Argumente an die Hand, die der jeweiligen Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb alle Macht überlassen wollen. Dies mag die Lokführer anstacheln, jetzt herauszuholen, was herauszuholen ist. Rechtlich gesehen festigen sie ihre Position nicht, sondern gefährden die Existenz der Minigewerkschaften. Mit ihrem Arbeitskampf versetzen sie vielleicht wochenlang die Republik in Unruhe, erzielen am Ende aber einen Pyrrhussieg.